Heute schon gesegelt? www.zueger-yachting.ch
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Über den Südatlantik
Kapstadt - St. Helena - Bahia de Salvador
1. Tag auf See |
25. April 2006 |
Logstand: 13 Seemeilen |
Wind: SE 4 |
Wir sind losgekommen! Das ist nämlich oft das Schwierigste beim Auslaufen, das Loskommen. Es gibt immer noch so viele Ausreden im sicheren Hafen zu bleiben. Noch einen freien Tag um auszuschlafen oder das Rigg noch einmal zu kontrollieren, oder doch noch fünf Kilogramm Orangen mehr einzukaufen, und ist der Wetterbericht wirklich gut genug?
Wir haben heute jedenfalls um elf Uhr morgens die Leinen im Royal Cape Yacht Club in Kapstadt gelöst und sind mit der MON AMIE vom Steg weggefahren. Der Tafelberg hat uns zum Abschied nochmals in vollem Glanz angestrahlt. Nur ein paar Tage zuvor haben wir ihn bestiegen. Über 1000 Höhenmeter in zwei Stunden, zu viert, mit Lenny auf dem Rücken. Wir erachteten dies als gute Teambildung, vor einer so langen Segelreise auf engstem Raum, gemeinsam einen Berg zu besteigen. Wir sind alle keine Spitzensportler und wussten, dass es kein Spaziergang werden würde. Wie die Atlantiküberquerung. Der Südatlantik, 4000 Seemeilen, das ist ziemlich weit.
Auf dem Gipfel schauten wir begeistert auf die Tafelbucht hinunter und unser Blick schweifte nach Westen, zum weit entfernten Horizont. Begeistert ob all den Abenteuern die uns erwarten werden. Begeistert ob der grossen Sache, die vor uns liegt. Begeistert ob dem Pioniergeist, der mit so einer Fahrt verbunden ist.
Doch heute fühle ich weder Begeisterung noch Pioniergeist in mir. Ich hoffe, dass keinerlei Abenteuer für uns bereitstehen. Wir motoren durch die Hafenmole heraus auf das Meer. Der Wind weht ganz leicht aus Nordwest. Zu leicht und auf die Nase. Ich fühle mich klein. Zwei Seemeilen zeigt das Log, 3849 werden noch dazukommen. Doch das weiss ich jetzt noch nicht genau. Und ich weiss auch nicht, was uns alles erwartet, und dass unsere Fahrt gut in Südamerika enden wird. Wir hoffen es, aber wissen es nicht. Wir rechnen damit, aber halten es nicht für selbstverständlich, denn wir haben uns nicht für eine Busfahrt zum Spanienurlaub oder zum Urlaub auf die Malediven angemeldet, sondern wollen aus eigener Kraft den Südatlantik übersegeln. Christa und ich, unser zehn Monate alter Sohn Lenny und Bea, Christas Schwester. Und unsere MON AMIE, unser Schiff, unsere Gefährtin - im wahrsten Sinn des Wortes! Sie ist unser Zuhause, unsere Insel im Weltenwind, und die Planken die für uns das Leben und die Freiheit bedeuten.
2. Tag auf See |
26. April 2006 |
Logstand: 146 Seemeilen |
Wind: SE 6-7 |
Es war eine schlimme Nacht. Alle ausser mir waren seekrank, aber die Hauptsache ist, dass Lenny seine Seekrankheit bereits nach ein paar Stunden abgelegt hat, und zwar für die ganzen kommenden 47 Tage! Doch Christa hat 50 schlimme Stunden vor sich. Ob das Stillen und die Hormone sie so schlimm erkranken lassen? In der zweiten Nacht haben wir bereits das dritte Reff im Grosssegel. Es geht ganz schön zur Sache und harte Böen kommen von achtern daher. Bea schickt sich mutig in ihre erste Nachtwache, allein mit dem Schiff, dem Himmel und dem Meer. Der Seegang am Kap der Guten Hoffnung ist wie immer, nun, sagen wir: sehr bewegt!
Während meiner Nachtwache gehe ich um ein Uhr in der Früh in die Achterkoje um nach meinen Liebsten zu sehen. Christa hat Lenny im Arm und ist am Stillen. Sie hat sich mit dem Rücken gegen die Bordwand verkeilt um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass sie in der freien Hand ein Becken hält worin sie sich gleich darauf erbricht. Doch aus ihrem Magen ist ausser Galle nichts mehr herauszuholen. Sie würgt und stöhnt und Lenny nuckelt an ihrem Busen friedlich vor sich hin. Das Schiff ächzt und bockt, es rollt hin und her und ich kann nur mühsam in gebückter Haltung vor unserem Bett stehen. Die Szene berührt mich sehr. Christa sagt, es sei kein Problem und freut sich, dass Lenny die Milch behalten kann und bereits nicht mehr erbrechen muss. Doch mir tut sie schrecklich leid, und Lenny tut mir schrecklich leid, in dieser rollenden, knarrenden Höhle. Und ich tue mir leid. Dies ist die Kehrseite vom Pioniergeist.
3. Tag auf See |
27. April 2006 |
Logstand: 317 Seemeilen |
Wind: SE 6, abn. |
Aus dem Logbuch: Neumond und unstetiger Wind in der Nacht. Mein Schlaf vor der Nachtwache geht wegen schlagenden Segeln drauf. Für etwas mehr Druck segeln wir räumlich und so geht's. Um Mitternacht sind die Sterne weg und der Wind nimmt zu, Bewölkung für 30 Minuten, dann wieder klar. Ganz langsam kommt der Bordrythmus. Komme wieder richtig auf den Segelgeschmack, MON AMIE läuft auch ganz gut.
4. Tag auf See |
28. April 2006 |
Logstand: 434 Seemeilen |
Wind: SE 3-8 |
Da segelt man bei flauem Wind mit allen Tüchern gesetzt träge dahin und zehn Minuten später mit dreifach gerefftem Gross und Stagfock! Beim Gross fieren verhakt sich ein Mastrutscher an der Try-Schiene, kurzes Chaos! Danach noch eine "falsche Front" - genügend der Ereignisse! In der Nacht überall Wetterleuchten, bin nicht sicher was es bedeuten soll, wahrscheinlich nicht viel. Lenny hat sich gestern beim Niedergang die Oberlippe aufgeschlagen, sah schlimm aus, ist es aber nicht. Hat Christa gesagt. Ich hab mir jedenfalls ob dem Blut fast in die Hosen gemacht.
Christa hat heute Suppe und Pasta gegessen. Auch Bea hat eine Portion Nudeln genommen, langsam geht es allen besser. Wind schralt ständig, aber egal, sind noch über 1300 Seemeilen bis nach St. Helena.
5./6. Tag auf See |
29./30. April 2006 |
Logstand: 577 Seemeilen |
Wind: SSE 8 |
Sind fast auf 30° Süd und haben den Molloy Seamount passiert. Reffen in der Nacht von Samstag auf Sonntag das 3. Reff etwas spät ins Gross, stockdunkel und beim Fall fieren verhängt sich das Fall wieder an der Try-Schiene und reisst einen Gleiter weg. Müssen ab jetzt vorläufig auf Backbordbug Gross reffen. oder viel anluven. Windiges Wochenende, macht keinen Spass! Gegen Abend wird's weniger, doch der Seegang bleibt vorerst, hatten Wellen über 5 Meter, sehr grobe See, aber MON AMIE packt alles gut - obwohl sie so voll beladen ist! Kämpfen alle - ausser Lenny(!) - noch mit leichter Seekrankheit und essen immer von der gleichen Pesto. Ob es uns davon schlecht wird?!
7./8. Tag auf See |
1./2. Mai 2006 |
Logstand: 801 Seemeilen |
Wind: SSE 4-5 |
Die Einsegelzeit ist nun vorbei. Normalerweise dauert sie bei Christa und mir nur drei, vier Tage. Dass es dieses Mal länger gedauert hat liegt wohl am rauen Revier. Die Westküste Südafrikas und Namibias ist kein Ententeich. Vielleicht stehen wir aber auch unter mehr Druck, weil wir nun Lenny dabei haben und für ihn verantwortlich sind.
Es war Bartolomeo Diaz, der zum ersten Mal das Kap der Guten Hoffnung erreicht und auf seinen Namen getauft hat. Es drückte die Hoffnung aus, beim nächsten Mal die Gewürzinseln Indiens erreichen zu können. Diese Seeleute hatten noch nicht einmal richtige Seekarten, geschweige GPS und Segel aus Dacron. Für mich sind das echte Helden.
Wir bezeichnen uns selbst zwar nicht als Helden, doch ganz zufrieden sind wir mit uns und der Welt auf jeden Fall. Trotz Kleinkind haben wir den grossen Absprung mal wieder geschafft. Wir sind nicht nur ausgelaufen, sondern haben bereits eine Woche um und etliche Seemeilen im Kielwasser. Wir orientieren uns auf der Seekarte vom Südatlantik bereits an St. Helena, obwohl wir erst etwa ein Drittel der Strecke zurückgelegt haben. Und erst ein Sechstel der Gesamtstrecke bis Südamerika! Obwohl es meine fünfte Atlantiküberquerung ist, kann von Routine keine Rede sein. Denn es ist ziemlich weiter als im Norden, auch rauer und einsamer, und mit einem kleineren Boot dauert auch alles länger. Da gibt es keine 200er-Etmale wie damals mit der PASO DOBLE mit ihren 70 Fuss Länge. Doch eines bleibt gleich: auch nach ein paar Tagen erscheint die abgesteckte Strecke auf der riesigen Überseglerkarte ziemlich lächerlich in Bezug auf die gesamte Distanz.
Und das ist das schöne, harte, einfache, schwierige aber sicher ganz ehrliche am Ozeansegeln: Niemand und nichts kann einem die Meilen abnehmen. Da helfen kein Beklagen, keine Anschuldigungen, kein Anwalt, kein Fluchen und keine Versicherung. Da muss man einfach die Segel trimmen, ran an die Arbeit, gut dem Schiff zuhören, segeln und dabei zufrieden sein. Ganz einfach.
Es lehrt einen, Angefangenes zu beenden. Die Mitte des Ozeans lässt einem keine Wahl.
9./10. Tag auf See |
3./4. Mai 2006 |
Logstand: 935 Seemeilen |
Wind: SE 2 |
Wir essen wieder richtige Nahrungsmittel, Salat mit Radieschen und Tomatenrisotto. Wegen dem flauen Wind leiden die Lattentaschen, müssen öfters Bandschlaufen nähen. Schlafen auch etwas nach - tut gut. War letzte Nacht ein komisches Gefühl, so über diese Seamounts zu segeln. Ich machte den Mitternachts-Fix genau auf einer "Untiefe" (168 Meter), doch was macht das schon? Der Meeresspiegel steigt von 4700 Metern direkt auf 115 Meter an! Wir segeln jetzt über die Valdivia Bank und dann durch das Angola Basin nach St. Helena. Heute Nachmittag hat es geregnet, alles nass an Deck, dafür abgesüsst. Lenny will natürlich trotzdem an Deck. Er sieht mega süss aus in seinem Ölzeug! Seine Freude steckt uns an.
11./12. Tag auf See |
5./6. Mai 2006 |
Logstand: 1102 Seemeilen |
Wind: SE 4 |
Haben 1. "Passat-Tag", ziemlich wolkenlosen Himmel und netten Wind, essen darauf einen Sack Chips! Doch zum Duschen sind wir noch zu skeptisch, Luft und Wasser erscheinen zu kalt. Wer will denn da bereits nach 10 Tagen duschen? Uns riecht ja niemand. Oder doch? Ob wir vielleicht deswegen so wenig Tiere sehen.?!
Haben einen wundervollen Sonnenuntergang, doch in der Nacht bewölkt und regnet es wieder, dabei sind wir bereits auf 22° Süd, wir haben den südlichen Wendekreis passiert und sind nun in den Tropen. Wann kommt der stabile Passat?
Bis jetzt hat sich unsere Hygiene auf Zähneputzen und Gesicht- und Händewaschen beschränkt. Christa und ich tragen beide Kontaktlinsen. Das Optik-Geschäft Pfarrer Kontaktlinsen in Bern, hat uns grosszügig mit derart guten Linsen ausgerüstet und hervorragend beraten, dass wir nicht nur perfekt sehen können, sondern auch nur ein absolutes Minimum an Pflege betreiben müssen. Eine Brille ist an Bord nämlich nicht sehr tauglich, nicht bei Spritzwasser, nicht bei Regen und vor allem nicht in Kombination mit der unabdingbaren Sonnenbrille. Wir können solche Kontaktlinsen, gerade für Wassersportler, nur empfehlen (www.visiotop.ch).
Früher haben die Menschen am Samstag gebadet. Auch wir duschen heute und baden Lenny. Wir kippen uns eimerweise Salzwasser über den Kopf, benützen Shampoo und Seife und Deodorant und: wechseln die Kleider, jedenfalls Unterwäsche und T-Shirt. Auf jeden Fall riechen wir alle vier am 11. Tag unbeschreiblich gut. Wir staunen richtig ob unseren Duftwolken!
Für Lenny's Bad spendieren wir 10 Liter Süsswasser. Mit 600 Litern in Tanks und 300 Litern in Flaschen haben wir genügend Süsswasser an Bord um ihn regelmässig baden zu können. Trotzdem bedeutet Süsswasser Leben, und deshalb duschen wir die ganze Reise mit Meerwasser, welches sauberer nicht sein könnte, und waschen natürlich auch das Geschirr mit Salzwasser ab. Lenny planscht und jauchzt in seinem kleinen Becken auf dem Achterdeck, als ob wir im Hafen wären. Er merkt den Unterschied wohl nicht zwischen Marina, Ankerbucht und endlosem Horizont. Oder unterschätzen wir ihn da völlig?
13./14. Tag auf See |
7./8. Mai 2006 |
Logstand: 1279 Seemeilen |
Wind: SE 8 |
Sehe um Mitternacht wie die Wolken vor dem Mond fliegen, und prompt haben wir am Morgen volle 8 Beaufort. Sind schnell mit dreifach gerefftem Gross und ausgebaumter Stagfock. Läuft stabil, aber überall viel Druck drauf. Immerhin hat der Starkwind erst am Morgen und nicht, wie sonst, mitten in der Nacht zugeschlagen!
In der darauf folgenden Nacht dann das pure Gegenteil - Flaute. Wir treiben mit einem Knoten nordwärts und es schaukelt dabei ziemlich arg.
15./16. Tag auf See |
9./10. Mai 2006 |
Logstand: 1400 Seemeilen |
Wind: SE 2-3 |
Wir haben bei Flaute am Heck gebadet und geduscht. Es hat richtig gut getan. Das Unterwasserschiff sieht gut aus, der leichte Bewuchs vom Hafen in Kapstadt ist längst weg. Wenn man so mit Maske und Schnorchel im Wasser liegt, kommt man sich schon sehr klein vor mit 4000 Metern Wasser unter sich. Es ist zugleich enorm schön, wie sich die Sonnenstrahlen im tiefblauen und absolut klaren Wasser verlieren, aber auch etwas unheimlich. Unter Wasser wird mir erst wieder bewusst auf was für einem klitzekleinen Mikrokosmos wir doch leben. Die MON AMIE, hier draussen schwimmend im Nichts.
An Bord hat man immer das Gefühl, der Mittelpunkt der Welt zu sein, denn ausser uns ist nur Wasser, Himmel und Horizont. Doch wenn man neben dem Schiff schwimmt, holt einen die Wirklichkeit ein und man merkt, dass wir uns als Landbewohner in eine fremde Welt wagen.
Es ist zum ersten Mal ziemlich heiss, und so lassen wir Lenny mit dem aufgefüllten Wasserbecken spielen bis er von oben bis unten nass und salzig, und vor allem auch schön abgekühlt ist! Wir baden ihn gleich noch mit Seife und mit warmem Süsswasser aus der Solar-Shower. Das ist ein Behälter aus Plastikfolie, der 20 Liter Wasser umfasst. Die Farbe ist schwarz und wenn man ihn der Sonne aussetzt, wird das Wasser schön warm. In unseren Tanks hat das Wasser nämlich kaum 20 Grad, da wir immer noch im kalten Benguela-Strom segeln. Das ist nicht gerade Baby konform.
Die meiste Zeit verbringt Lenny tagsüber im Cockpit. Er geht seine Runden den Winschen entlang und hinter dem Steuerrad hindurch von Backbord nach Steuerbord und wieder zurück. Oft wagt er sich auch schon zu den Kanistern auf dem Achterdeck. Dabei müssen wir stets eine sichernde Hand hinter ihm haben, denn der nächste Arzt ist im besten Fall einige Tage und im schlechtesten Fall zwei Wochen entfernt.
Also darf es bei ihm keine schlimmen Sturzverletzungen geben. Wir passen gut auf ihn auf. Wenn uns das Sichern ermüdet, setzen wir ihn auf den Cockpitboden. Den haben wir vorsorglich mit einer Gummimatte ausgelegt, sodass er, wenn er das Gleichgewicht verliert, weich landet. Die spitzen Verschlüsse der Backskisten haben wir auch mit Gummi gesichert. So hat er hier sein völlig ungefährliches Revier, wo wir ihn auch bei Manövern alleine lassen können, denn um auf die Cockpitbänke zu klettern ist er im Moment noch zu klein.
Im Moment ist der Seegang sowieso ruhig, zu ruhig. Wir haben flaue Tag mit kaum Wind und machen Etmale von nur 68, 52 und gar 33 Seemeilen.
17./18./19. Tag auf See |
11.-13. Mai 2006 |
Logstand: 1597 Seemeilen |
Wind:
SE 1/N 5/SE 4 |
Gestern streiften uns die Ausläufer eines Tiefs, und das auf 19° Süd! Wann nimmt das endlich ein Ende? Der Wind drehte nach zwei Wochen plötzlich auf die Nase, Nordwest, und dann Südwest mit Regen. Das heisst für uns ran an die Schoten und hoch an den Wind.
Fast wochenlang sieht man kein Schiff und heute passiert uns die R.M.S. ST. HELENA ganz nah und ruft uns auf UKW auf. Wir plaudern kurz über Woher und Wohin und der Kapitän verspricht uns, eine "S/Y MON AMIE ist okay"-Email in die Schweiz zu schicken. Zuhause wären sicher alle froh über gute News zum Muttertag. Zur Feier des Tages gönnen wir uns einen Sack Chips und teilen uns zu dritt ein Bier.
Bezüglich Wetter teilt uns der Kapitän lapidar mit: "The trades are not blowing". Tja, was soll's?!
20./21. Tag auf See |
14./15. Mai 2006 |
Logstand: 1777 Seemeilen |
Wind: SE 3 |
Trotz immer noch schwachem Wind bringen uns zwei normale Etmale um 100 Meilen nun doch plötzlich nach St. Helena. Freuen uns auf Land und die Abwechslung. Reden von knackigem Salat, Fleisch und Pommes, kaltem Bier, grünen Hängen und Spaziergängen. Natürlich ist es, wie immer, Christa, die "Laaaand in Sicht!" schreien darf, da hat sie Augen wie ein Adler. Die Ausmasse überraschen uns, die Insel sieht sehr gross aus. Ein wirklich schöner Anblick während des Sonnenuntergangs. Wir sind gespannt auf den Landgang morgen und segeln nochmals eine Nacht durch. Bei flauen 2 Windstärken.
22. Tag auf See |
16. Mai 2006 |
Logstand: 1848 Seemeilen |
Wind: SE 2 |
00.30 |
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Genua schlägt, stark räumlich, luven etwas an |
07.40 |
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Genua wieder ausgebaumt, Sugar Loaf Pt. auf 261° gepeilt |
09.10 |
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Segeln entlang der 100 Meter Isobathe um Barn Point |
12.25 |
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Anker fest vor Jamestown, St. Helena. Zoll und Immigration kommen an Bord |
13.00 |
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Behörden verlassen MON AMIE, Apéro!!! |
5 Tage auf St. Helena |
16.-21 Mai 2006 |
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Wie kann man eine Insel beschreiben, die so unberührt und abgelegen ist, dass sie als sichersten Verbannungsort für Napoleon erschien? Eine Insel, die Jahrhunderte lang in unkartierten Gewässern lag? Eine Insel die, obwohl bereits vor 14 Millionen Jahren durch einen Vulkanausbruch entstanden, unentdeckt im Atlantik schlummerte bis zum 21. Mai 1502? An diesem Tag nämlich, dem Geburtstag der Heiligen Helena, Mutter des portugiesischen Konstantin, entdeckte der Seefahrer Castella die entlegene Insel. Die Geschichte erzählt den normalen menschlichen Wahnsinn: blutige Kämpfe, Sklaverei, Piraterie, englische Konzentrationslager und schliesslich wirtschaftlichen Verfall.
Heute ist St. Helena ein gemütliches, verschlafenes Nest, wo die Uhren anscheinend etwas langsamer ticken. Die Bevölkerung ist eine Mischung aus Portugiesen, Niederländern, Engländern, Malayen, Goanesen, Madegassen, Ostindern, Afrikanern, Chinesen, Buren, amerikanischen Walfängern und vielleicht noch dem einen oder anderen Mitglied des napoleonischen Hofstaates. Die Insel ist eine der letzten Kolonien Englands und somit ist Englisch die Hauptsprache.
Es sind Verhandlungen über einen Flugplatz im Gange, doch anscheinend ziehen sich diese Verhandlungen bereits über viele Jahre hin. Wer also die Insel besuchen will, kann noch immer nur selber hinsegeln oder sich auf der R.M.S. ST. HELENA einschiffen. Sie ist das weltweit letzte offizielle Postschiff (Royal Mail Ship), welches die Insel im Zweiwochentakt mit Kapstadt verbindet. Auch unsere paar Postkarten finden im Bauch dieses Schiffes ihren Weg in die grosse weite Welt.
Wir klarieren die MON AMIE etwas auf, erledigen Kleinreparaturen und stöbern täglich an Land herum. Nach der fünften Nacht vor Anker nehmen wir gutgelaunt die zweite Hälfte Ozean in Angriff, und zwar auf den Tag genau 504 Jahre nach der Entdeckung St. Helenas.
23./24. Tag auf See |
21./22. Mai 2006 |
Logstand: 1987 Seemeilen |
Wind: SE 6-7 |
Gestern hat es recht gehackt am Ankerplatz, so blieben wir noch eine Nacht. Heute Morgen sind wir mit Fock und dreifach gerefftem Gross ausgelaufen und konnten schon am Nachmittag Transat-Bergfest feiern, die Hälfte geschafft! Haben in der 1. Nacht ziemlich Wind und MON AMIE schaukelt stark. Ist allen nicht so super wohl, dafür Etmal 138 Meilen! Halb beängstigend und halb faszinierend wie die Wellen sich weiss in der mondlosen Nacht neben dem Schiff lautstark brechen. Wir sind schnell, sehr schnell, hoffentlich hält alles.
25./26. Tag auf See |
23./24. Mai 2006 |
Logstand: 2212 Seemeilen |
Wind: SE 8-9 |
Verdammte Scheisse. Machen in der Nacht über 10 Knoten, sind einfach zu schnell und müssen dreifach gerefftes Gross bergen, denken niemals, dass es über 48 Stunden geborgen bleibt. Seegang krass, alle ausser Lenny sind wieder leicht seekrank. Ist immer bewölkt und kühl, teilweise Regen, nichts von Barfussroute! Hoffen fest auf weniger Wind, wären locker gleich schnell mit weniger, eh mehr Segelfläche, gehe jetzt schlafen. verdammter Wind!
27./28. Tag auf See |
25./26. Mai 2006 |
Logstand: 2419 Seemeilen |
Wind: SE 5 |
Können am Donnerstagmorgen endlich wieder das Gross im 3. Reff setzen. Der Passat - oder was immer das ist - pendelt sich wieder ein, wir duschen alle, baden Lenny, haben Sonne und gehen bald ins 2. Reff zurück. Schreibe ich wieder zuviel vom Reffen? Beschäftigt mich halt ständig, mental wie physisch. Können auch wieder die Fock bergen und auf die Genua wechseln und 1. Reff im Gross. Nacht eher flau, knapp 4 Knoten, aber immerhin besser als fast 11 .
Haben Neumond, Nächte sind pechschwarz, dafür langsam wirklich wärmer. Leider keine Tiere.
29./30. Tag auf See |
27./28. Mai 2006 |
Logstand: 2584 Seemeilen |
Wind: SE 2 |
"Wir lauern vor uns her wie Kuno
Und es ist erst Mai, nicht Juno,
Sehen keinen Hai und keine Schiffe
Keine Wale, keine Riffe,
Segeln durch leeres Meer
Und kommen von weit her."
31./32. Tag auf See |
29./30. Mai 2006 |
Logstand: 2694 Seemeilen |
Wind: ESE 1-2 |
Ereignisreiche Wache heute Nacht: müssen Segel bergen wegen Flaute und treiben, Gross schlägt sonst erbärmlich. Beim Genua Einrollen sehen wir einen Fisch im Schein der Stirnlampe, ein MahiMahi. Er sieht wunderschön aus. Danach erwähne ich Christa, dass es doch schon etwas gar eifrig sei, treibend trotzdem Wache zu gehen. Trotzdem erwägen wir nicht wirklich beide ins Bett zu gehen. Ich bleibe oben und lese. Nicht ganz eine Stunde später passiert uns ein Maschinenfahrzeug >50m ca. 300 Meter spitz Steuerbord. Ich habe ihn schon früh kommen sehen und wir müssen gerade knapp nicht reagieren, ihn weder aufrufen noch ausweichen. Soviel zu Murphy. Immerhin das einzige Schiff in 8 Tagen. wenn man es am wenigsten erwartet. hätte uns ohne Wache gehen knapp nicht über den Haufen gefahren. gibt uns ein gutes Gefühl wofür man sich immer durch die Nächte ackert!
33./34./25. Tag auf See |
31. Mai/1./2. Juni 2006 |
Logstand: 2854 Sm |
Wind: SE 4 |
Für die nächsten und letzten 10 Tage unserer Überfahrt sind keine Logbuchnotizen mehr verzeichnet. Wir waren zu müde, zu beschäftigt und hatten einfach keine Zeit mehr dafür. Ich war auf Wache und da lief die MON AMIE aus dem Kurs. Als ich mit der Taschenlampe die Windfahne kontrollierte, lief es mir kalt den Rücken hinunter: das Ruderblatt der Selbsteueranlage war weg. Einfach weg!
Ohne zusätzlichen elektrischen Autopilot heisst das für uns: selber steuern. Das ist leicht gesagt, doch es sind noch knapp 1000 Seemeilen bis nach Brasilien. 10 Tage, 240 Stunden, 14400 Minuten in denen wir die MON AMIE von Hand auf Kurs halten müssen. Zu Ende ist das Lotterleben, wo man sich auf Wache frei bewegen konnte. Kein Hinunterlümmeln zu Karte und GPS mehr, kein Tee oder Suppe machen, kein Lesen mehr nachts, kein bequemes Liegen, keine Pinkelpause mehr. Nur entweder stehen oder sitzen und steuern. Und natürlich beginnt es auch wieder ständig zu regnen. Kein trockenes Sitzen mehr unter dem Cockpitdach.
Da merkt man, wie schön wir es hatten seit Holland mit dem funktionierenden Windpilot. Dank Bea ist der Wachrythmus aber schnell eingespielt und wir gewöhnen uns daran. Wären Christa und ich mit Lenny alleine würde es richtig hart. Einmal mehr freuen wir uns, dass Bea mit uns segelt.
Der Ruderschaft, ein Rohr aus Edelstahl, ist einfach abgebrochen. Die Ursache werden wir wohl nie herausfinden. Doch das spielt jetzt auch keine Rolle. Beim Segeln brechen Dinge, das ist nichts Neues. Doch bezüglich Ruder sind wir ehrlich gesagt nicht gerade mit Glück gesegnet.
Doch auch das ist Ansichts- und Einstellungssache: alles in allem sind wir nämlich froh, dass die Selbsteuerung 1000 Meilen vor Brasilien und nicht schon 1000 nach Kapstadt gebrochen ist!
36./37. Tag auf See |
3./4. Juni 2006 |
Logstand: 3096 Seemeilen |
Wind: SE 3-6 |
07.40 |
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Handsteuern macht nicht wirklich Spass, to go: 826 Seemeilen |
12.00 |
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13°53'S / 24°41'W, Etmal: 96 |
01.00 |
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Wache an Simi |
12.00 |
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13°26'S / 26°05'W, Etmal: 109 |
16.00 |
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1. Reff, räumlicher Kurs, Zeitumstellung -1Std. |
18.20 |
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2. Reff, hohe Dünung aus Süd |
38./39. Tag auf See |
5./6. Juni 2006 |
Logstand: 3324 Seemeilen |
Wind: SE 6-8 |
12.00 |
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13°24'S / 28°03'W, Etmal: 117 |
12.00 |
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13°39'S / 29°55'W, Etmal: 111 |
40./41. Tag auf See |
7./8. Juni 2006 |
Logstand: 3517 Seemeilen |
Wind: SE 3-6 |
Wir können von der grossen Überseglerkarte auf die Küstenkarte wechseln. Brasilien wir kommen!
Ich sitze in Gedanken versunken am Steuer, und plötzlich erschreckt mich ein direkt neben uns auftauchender Wal bis ins Mark! Mann hat der laut geblasen, ich habe richtig weiche Knie. Unglaublich! Da sitzt man einfach so da und träumt von Land, wachfreiem Durchschlafen und dem feinsten Essen und schon zeigt einem Mutter Natur, dass es hier draussen eigentlich viel besser ist als an Land, wo man sich wieder mit Behörden, Gestank und Abfall, Verkehr und Lärm herumschlagen muss. Wo einem sogar ein grünes oder ein rotes Licht befiehlt, ob man denn nun über die Strasse gehen darf oder nicht!
Mich erschreckt im ersten Moment das Auftauchen und das laute "Pfffft" des Wals enorm. Dieser zischende Laut entsteht, wenn der Wal an der Wasseroberfläche seine riesige Lunge ausatmet. Gleich sind alle an Deck und wir können den Wal wunderschön beobachten. Er ist auch nicht so gross, dass wir uns Sorgen ums Schiff machen müssten. Einfach toll!
Der Wal bleibt die Nacht über in unserer Nähe und taucht während Bea's ganzer Morgenwache ständig auf. Sie hat zu Recht eine Riesenfreude.
42./43. Tag auf See |
9./10. Juni 2006 |
Logstand: 3741 Seemeilen |
Wind: SE 5-7 |
Zwei Etmale weit über 100 pushen uns in greifbare Nähe Salvadors. Christa und Bea fangen bereits an zu putzen für das Ankommen. Mir ist es noch zu früh.
Unsere gute Laune passt sich der Lenny's an. Er ist wirklich erstaunlich! Gerade mal 11 Monate alt, hält er sich auf dieser grossen Überfahrt wirklich super. Er ist wie jedes andere Kind zu Hause, einfach normal. Er spielt, lacht, erforscht, klettert auf uns und über uns, dreht an den Winschen und wird wütend, wenn er auch mal die mit der Genuaschot erwischt, die einfach nicht drehen will, obwohl er es mit aller Kraft versucht.!
Um sechs Uhr morgens erwacht er und will an die Brust, danach ziehen wir ihn an und nehmen ihn zum Sonnenaufgang ins Cockpit. Dort macht er seine Runden, kramt in der Spielzeugbox herum, schlägt mit der Winschkurbel überall Farbe ab, oder will dauernd auf das Vorschiff kriechen. Dann bekommt er zum Frühstück Porridge und geht schon bald wieder schlafen. Ihn den ganzen Tag zu versorgen und beim Rumturnen ständig zu sichern ist ziemlich anstrengend. Doch er entschädigt uns mit seiner Anwesenheit und seinem sonnigen Wesen mehr als genug. Manchmal sind wir aber auch froh, wenn er endlich schläft, doch schläft er lange, dann fehlt er uns bereits!
Eine Schwimmweste hat er während der ganzen Zeit nie getragen. Dies erscheint uns beim Deckslayout der MON AMIE, ihrer hohen Reeling und dem Reelingsnetz vollkommen unnötig.
44. Tag auf See |
11. Juni 2006 |
Logstand: 3851 Seemeilen |
Wind: SW 6-7 |
04.00 |
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Leuchtfeuer Salvador auf 290° gepeilt, 1. Reff gesetzt |
07.00 |
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2. Reff, der Wind dreht vorlich auf Südwest! Müssen kreuzen. |
12.00 |
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13°06'S / 38°29'W, Etmal 101, Südquadrant gesichtet |
13.00 |
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Wind dreht, yeah! Vorwind, Genua ausgebaumt |
13.50 |
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Genua eingerollt, sind zu schnell in der verkehrsreichen Ansteuerung |
14.25 |
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Segel geborgen, Motor an |
14.45 |
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FEST IM LIEGEPLATZ BAHIA MARINA!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! |
Der letzte Tag auf See verlangt uns leider nochmals alles ab. Ausgerechnet jetzt, wo der Kurs für die Ansteuerung genau stimmen muss, dreht der Wind zum ersten Mal seit drei Wochen auf Südwest! Wir müssen hoch an den Wind, haben wechselnde Windstärken und hohe Wellen. Es ist schwierig Höhe zu fahren, aber wir brauchen sie unbedingt. Es sind immerhin noch über 40 Seemeilen, und wenn wir kreuzen müssen, dann kommen wir heute nicht mehr an. Wir haben aber überhaupt keinen Bock mehr auf eine weitere Nacht auf See! Ich trimme die MON AMIE so gut ich nur kann und steuere stundenlang hochkonzentriert wie bei einer Regatta. Es zahlt sich aus, so geht's!
Immer wieder treffen uns Regenfronten mit mehr Wind. Da man auf Am-Wind-Kurs punkto Segeltragevermögen nur wenig Bewegungsfreiheit hat, müssen wir vor jeder Bö etwas Genua wegrollen und danach wieder ausrollen. Langsam strengt mich die Segelei an, aber auch nur, weil das Ziel bereits zu sehen ist! Doch dann haben wir Glück: nach der letzten Front dreht der Wind auf Südost zurück, wir können auf räumlich abfallen und schon sieht die Welt ganz anders aus!
Als wir der Küste näher kommen, schockt uns die Grösse der Stadt Salvador. Wir sind gar nicht auf den Anblick von Wolkenkratzern vorbereitet, nach sechseinhalb Wochen Meer und ein paar Tagen St. Helena. Dort gab es kaum ein zweistöckiges Haus!
Ich staune wie dumm wir Menschen doch sind. Wie kann man so eine riesige Stadt nur bauen, geschweige denn darin leben? So eng, keine Freiheit, kein Raum, keine Luft zum Atmen, kein Wald, kein See, kein Horizont, nur Häuserschluchten, Aufzüge, Beton und Abgase!
Nun ja, es ist nicht der erste Kulturschock unserer Abenteuerreise. Während ich über die Menschen und das Leben philosophiere, sind Christa und Bea praktischer veranlagt. Sie verziehen sich unter Deck und machen klar Schiff. Einzig Lenny bleibt bei mir an Deck und hört mir zu.!
Als wir den Leuchtturm runden kommt uns, sozusagen als Willkommensgruss, ein Hundekadaver entgegen geschwommen. Ist doch toll, Wale und Delphine sieht schliesslich jeder!
Wir kommen in den Windschatten des Landes und in ruhiges Wasser. Und: ja, wir haben es geschafft! Fast 4000 Seemeilen in zwei Mal 21 Tagen, "Cape to Bahia".
Wir freuen und küssen uns, bestaunen das Land, da ist doch etwas üppiges Grün, und wir haben wirklich ein Bombengefühl im Bauch!
Das sind Augenblicke, die wir geniessen. Augenblicke die wir nie vergessen werden und die uns nie jemand wegnehmen kann. Und es sind auch Augenblicke, die nicht viele Menschen erleben. Kostbare Augenblicke, die nicht käuflich sind, und in denen wir merken, dass es Zeiten im Leben gibt, wo das Abenteuer über allem stehen sollte.
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