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1000
Starkwindmeilen...
Brighton
- Plymouth - Vigo - Vilamoura - Gibraltar - Palma de Mallorca.
Ich sitze
auf der Terrasse einer Hafenkneipe mit wunderschönem Blick auf die
Bucht von Palma und die berühmte Kathedrale. Sonne, Shorts, spanisches
Flair, ein kaltes Bier. Wir haben den ersten Teil unserer Reise geschafft
und sind im Mittelmeer, und: endlich im Sommer! Es war eine sehr abwechslungsreiche
Fahrt von Südengland hierher. Sturm, Flaute, herrliche Tierbegegnungen,
spannende Ansteuerungen, Kälte, Übermüdung, berühmte
nautische Kaps, Wechsel der Klimazone... und die MON AMIE hat sich in
den ersten 2500 Seemeilen sehr bewährt.
Vor allem auch während 1000 Starkwindmeilen!
Nachdem wir
Dover nach der langen Sturmperiode endlich den Spiegel kehren konnten,
wurden wir in Brighton bereits wieder für einige Tage zwangsgebremst.
Wir mussten eine Verstärkung schweissen lassen für unser Rigg.
Die beiden Achterstage konnten zuwenig stark angezogen werden. Für
uns unumgänglich, denn man könnte ja in der Biskaya auf stürmische
Verhältnisse treffen...
Solche Mängel entdeckt man übrigens immer Ende Woche. Der hervorragende
Schweisser musste uns dann auch auf Montag vertrösten. Was macht
man also in Brighton am Samstagabend? Natürlich an die grossangelegte
Strandparty mit dem Superstar Fat Boy Slim'. Als Christa und ich
so gegen elf Uhr abends in die Stadt spazierten, kamen uns abertausende
von Menschen entgegen! Tja, entweder ist dieses Konzert sauschlecht oder
schon vorbei, dachten wir. Es war schon vorbei. So gingen wir halt wieder
zurück in unsere Kojen. Am nächsten Tag waren wir froh, dass
wir zu spät kamen. Die Nachrichten meldeten mehrere Tote an diesem
Anlass. Die Stadt Brighton erwartete 50'000 Fans, doch es strömten
über eine viertel Million Menschen aus allen Richtungen herbei und
versammelten sich am öffentlichen Strand. Tausende wurden in das
knietiefe Wasser gedrängt. Und dann kam die Flut! Die verzweifelte
Coast Guard konnte nicht alle retten.
Mit verstärktem
Rigg und gutem Gefühl segelten wir in 30 Stunden 170 Seemeilen nach
Plymouth, unsere erste Nachtfahrt mit der MON AMIE. Dies sollte unser
Absprunghafen für die Biskaya sein. Nach einem Besuch im berühmten
Seaquarium von Plymouth legten wir am frühen Abend ab: Kurs Spanien.
Knapp 600 Seemeilen über die Biskaya vor dem Bug.
Christa
schreibt kurz nach dem Auslaufen ins Logbuch: Kurs Süd! Sehr schöne
und ruhige Abendstimmung, 2-3 Windstärken. Das Meer empfängt
uns von seiner schönsten Seite. Simi kocht Spaghetti mit einem Glas
eingemachter Tomatensauce von meiner Mutter. Wir essen auf dem Vordeck
und geniessen die Ruhe und den freien Horizont! Sind begeistert von der
Stille und vom Windpilot, der sogar bei wenig Wind sauber steuert.
Nach zwei Tagen, nachdem wir die Insel Ushant (bei Brest) im Kielwasser
haben und in die Biskaya eingetaucht sind, dreht der Wind auf Nordost
und nimmt auf 6 Windstärken zu. Das ist für uns genau Vorwindkurs.
Da wir die Genua nicht ausbaumen können, segeln wir nur mit dem Grosssegel
mit 5-6 Knoten. Da nun der seitliche Winddruck fehlt und der Seegang beträchtlich
auf Stärke 5, grobe See, zunimmt, beginnt die MON AMIE von einer
Seite auf die andere zu rollen. Das Schlafen und Bewegen wird etwas mühsam.
Wir haben unsere Seebeine noch nicht wieder zurück. Christa im Logbuch:
ab 3 Uhr morgens dichter Nebel, sehr unheimlich, höre ein Schiff,
hupt mit dem Nebelhorn, kommt näher, und doch ist nichts zu erkennen...ich
hupe zurück. Um 06h00 löst sich der Nebel langsam auf.
Dann
beginnt es zu blasen! Wir wechseln am Nachmittag auf die Stagfock, 2 Reffs
im Grosssegel. Am Abend geht der Wind über 7 Bft., wir binden das
Reff in die Fock und das 3. Reff ins Gross. Um Mitternacht haben wir eine
sehr grobe, teils hohe See. Der Seegang ist unheimlich, die Brecher rollen
wie in der Brandung und machen richtig viel Lärm. Die Wellen sind
sicher 6 Meter hoch und vor allem: sehr nahe aufeinander! Das ergibt eine
steile, hackige See. Wenn man im Cockpit sitzt, erheben sich die Brecher
hoch über das Heck, sogar weit über unseren Geräteträger
hinaus! Sie übersteigen unser Schiff um mehrere Meter, und das unmittelbar
hinter dem Heck. Bei jeder Welle denken wir "diese ist zu hoch, die
knallt uns voll ins Cockpit"! Doch die MON AMIE hebt scheinbar mühelos
immer frühzeitig ihr Heck, der Windpilot fällt brav etwas ab,
die hohen Wellen rutschen unter unseren Rumpf durch, das Schiff surft
erzitternd die Welle hinunter, im Wellental luvt die Selbststeueranlage
wieder brav zurück auf Kurs, das Ganze beginnt von Neuem! Nach Mitternacht
nimmt der Wind noch mehr zu, wir sind viel zu schnell und kriegen Angst.
Müssen das dreifach gereffte Grosssegel unverzüglich bergen
- ein hartes Stück Arbeit bei Nacht und in diesen Verhältnissen!
So geht es, nach drei Tagen auf See, eine Nacht, ein Tag, und wieder eine
Nacht. Das ausgezeichnete Tagesetmal liegt bei knapp 150 Meilen. Doch
wir kriegen kein Auge zu. Es sind sehr helle, klare Vollmondnächte,
nur sehr kalt, können beide fast gar nichts schlafen, die Wellen
sind so kurz und steil, dass wir in der Koje hin und her geworfen werden.
Sind deshalb total kaputt und übermüdet. Gehen eigentlich nur
noch zum Aufwärmen in die Koje und unters Duvet. Dabei haben wir
heute, rein geographisch', die Subtropen erreicht...
In
der zweiten Nacht nimmt der Seegang weiter zu und der Wind wird nochmals
etwas stärker. Ab und zu knallen quer zum Seegang laufende Brecher
frontal in unsere Aussenhaut. Das kracht, so als ob man mit einem grossen
Lastwagen in den Randstein knallen würde. Mitten in der Nacht, ich
habe gerade Wache im Cockpit und Christa versucht - in voller Montur angezogen
- im Salon etwas zu schlafen, gehe ich kurz unter Deck um einen Standort
auf der Karte einzutragen. Kaum bin ich unter Deck und verriegele den
Niedergang, knallt uns ein fürchterlicher Brecher voll in die Seite.
Der Knall ist atemberaubend! Christa schreckt hoch und schreit in Panik
lauthals: "Simi"! -, überzeugt, dass ich aus dem Cockpit
geschwemmt worden bin. Ich, hellwach, erlebe den Knall etwas gefasster
und sage direkt neben ihr stehend nur: "alles klar, bin hier unten"!
Gleich darauf hören wir Wasser plätschern...! Christa geht auf
die Suche und schreit aus unserer Koje "Wasser, Wasser, die Seitenluke
steht offen"! Die Bescherung ist total: unsere ganze Achterkoje ist
durchnässt und laufend spritzen Dutzende von Litern Salzwasser durchs
Luk direkt auf unsere tropfnasse Koje. Wir fühlen uns geschockt von
dem Anblick, und irgendwie betrogen. Unser letzter Rückzugsort, unser
Bett, unsere trockene Oase - unbrauchbar! Selbst alle Kleider in den Schränken,
die ganze Ausrüstung, die unter unserem Bett gestaut ist, Bettzeug,
einfach alles ist voll Salzwasser. Selbst in der Lampe an der Wand steht
exakt halbhoch Seewasser! Schon etliche Male haben wir hier hinten jeden
Winkel gereinigt und geputzt, alles abgedichtet, und jetzt sind wir offen
der stürmischen Biskaya ausgesetzt, selbst in der Koje! Natürlich
können wir das Luk sofort schliessen, die Verschlussgewinde wurden
beim Schlag gestaucht. Das sorgt uns um alle anderen Luken... doch bleiben
wir von weiteren Hämmern' verschont. Die Übermüdung
und dieser Schock hinterlassen Spuren, Christa kommen die Tränen
ob dieser Bescherung. "Bis hier hinten wieder alles ausgewaschen,
getrocknet, gewaschen, ausgeräumt, bewohnbar ist...", ich nehme
sie in die Arme und tröste sie. Von da an liegen wir auf Freiwache
nur noch im Salon...
Am nächsten Tag beruhigt sich das Meer und kurz nach Mitternacht
laufen wir den Yachthafen von Vigo an - und schlafen erleichtert ein,
in unserer Gästekabine.
2 Tage später
segeln wir weiter Richtung Gibraltar, das Schiff wieder komplett bewohnbar.
Schon in der ersten Nacht wiederholen sich die Wetterverhältnisse.
Weder die Wettervorhersage noch wir rechneten mit über 6 Windstärken,
und plötzlich sind es wieder 8, vielleicht mehr. Wieder hoher Seegang.
Beim Einreffen des 3. Reffs vertörnen sich die Reffleinen mit den
Segellatten und den Lazy-jacks zu einer fürchterlichen Wuhling, wir
wissen bis heute nicht warum. Ich kämpfte über eine Stunde am
Mast mit dem Grosssegel, quetschte mir die Hand sehr schmerzhaft und werde
hin und her geworfen. Werde dazu komplett durchnässt. Christa kann
am Steuer nur knapp unsere Notpinne retten, welche durch die schlagende
Grossschot beinahe über Bord geworfen wurde. Dann hätten wir
die hydraulische Steueranlage nicht mehr fixieren können, und somit
könnte die Selbststeueranlage nicht arbeiten. Wir trieben schnell
nach Lee ab, der Hafen war nicht mehr zu erreichen, die hereinbrechende
Nacht und der Sturm wirkten auf mich sehr bedrohlich. Schon nach wenigen
Stunden schon wieder durchnässt, seekrank, kaputt. Da überkommt
es mich. Erschöpft laufen mir die Tränen runter. Die ganze verbrauchte
Energie der letzten Monate: Schiffskauf, Kündigung, Abschied, die
viele harte Arbeit am Schiff, technische Probleme und Ängste, finanzielle
Sorgen, das Vorankämpfen in Nordsee und Englischem Kanal, die harten
Meilen in der Biskaya, all das wird mir plötzlich zuviel - und jetzt
geht es wieder so weiter! Was hetzen wir eigentlich ins Mittelmeer? Wenn
wir zu spät dran sind, lassen wir doch die Route Rotes Meer'
sausen, segeln in die Karibik und machen ein paar Monate Ferien'!?
Bis jetzt war alles zu hart, zu stressig, zuviel Druck. Viel davon machen
wir uns selber. Nun ist es Christa, die mich in die Arme nimmt und tröstet
- und schnell geht es wieder gut!
Schön, nicht alleine zu segeln!
Seit dem Auslaufen in Holland haben wir unseren Rhythmus noch nicht ganz
gefunden. Wir müssen etwas ändern. Nicht so knapp planen, oder
vielleicht überhaupt weniger planen. Vielleicht sind das aber auch
alles nur' Startschwierigkeiten. Denn es gibt sicher einfacheres
auf der Welt, als sie zu umsegeln!
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Nach 1000
Starkwindmeilen runden wir die Südspitze Portugals, das Cabo de Sao
Vicente und biegen' zur Algarve ab. Zwei Stunden später geht
der Wind von 7 Windstärken auf totale Flaute zurück. Zum Motoren
sind wir viel zu erschöpft. Denn ohne Autopilot müsste immer
jemand von uns beiden steuern. Wir fahren in den nächstgelegenen
Hafen, Vilamoura. Wir kommen, wie immer, nachts an und fallen - nach weiteren
450 Seemeilen ohne Stop - müde aber glücklich zusammen in unsere
Koje!
Unser GPS
zeigt 9.2 Knoten an! Wir segeln durch die Strasse von Gibraltar mit der
Tide im Rücken! Gibraltar! Wir laufen mit unserem eigenen Schiffchen
in diesen berühmten Seehafen ein! Wir haben uns lange auf Gibraltar
gefreut. Ich bin bereits 3 Mal, und schon aus beiden Richtungen, hierher
gesegelt. Doch auf eigenem Kiel' sind die Empfindungen noch viel
stärker. Zum ersten Mal auf unserer Reise treffen wir auch auf andere
Langfahrtsegler. Wir schlafen aus, schlendern durch die britisch-spanisch-nordafrikanischen
Strassen, gehen ins Internetcafé und geniessen die einzigartige
farbenfrohe und multikulturelle Atmosphäre von Gib'. Natürlich
wollen wir auf den berühmten Affenfelsen von Gibraltar hoch, am liebsten
mit der Luftseilbahn der Thuner Firma Von Roll. Doch wir sind nicht die
einzigen Touristen'. Ich hasse anstehen und Christa findet es den
Horror mit so einem Touristenbus' hochgekarrt zu werden und Filmaufnahmen
von der afrikanischen Küste durch die Autoscheibe machen zu müssen...
also laufen wir! Es begegnen uns viele Affen, sie kommen ganz nahe. Wir
gehen an duftende Pfefferbüsche und riesige Kakteen vorbei und geniessen
die ruhige Wanderung. Wegen unserer nunmehr zurückgewonnenen Seebeine
wird der Aufstieg recht streng. Eigentlich war es auch nicht geplant,
Bergsteigen zu gehen, wir sind also weder gut vor der Sonne geschützt,
noch haben wir Wasser dabei. Und frühstücken wollten wir da
oben! Im Bergrestaurant' angekommen hauten wir dann frische Früchte,
Croissants, Unmengen Wasser und zum Dessert ein Eis rein! Wir genossen
den ganzen Nachmittag die einzigartige Aussicht auf Atlantik, Afrika und
Mittelmeer! Zurück im Hafen kochten wir was feines und gingen zufrieden
ins Bett. Es war ein richtiger freier Tag'! Kein Segeln, keine Wache,
kein Büetzen' am Boot - herrlich. Solche Tage dürfen noch
viele folgen!!
Trotzdem
wollten/mussten wir weiter. Palma ist unser Ziel, da wollen wir einige
wichtige Arbeiten am Schiff machen und da erwarten uns auch Christas Eltern,
die zu Besuch kommen. Da will man natürlich einigermassen pünktlich
sein und nicht erst an deren Urlaubsende reinschneien!
Schon in Holland haben wir einige Arbeiten auf Palma geplant, um sie da
mit Hilfe unserer Freunde von der Firma Ermar Service Baleares zu lösen.
Die Ermar Service Baleares ist ein nautischer Betrieb, der auf Yachtservice
und Charter spezialisiert ist. Wir freuten uns auf das Wiedersehen - und
auch auf die professionelle Hilfe.
Dies alles ist Motivation genug, um von Gibraltar direkt nach Palma zu
segeln. Nur: kein Wind, ölige Flaute. Wir motoren 4 Tage und Nächte
voll durch, eines von uns hockt immer am Steuer. Wir reduzieren die Nachtwachen
auf jeweils zwei Mal drei Stunden und schlafen dementsprechend in kurzen
Intervallen. Doch das öde Selbststeuern hat auch sein gutes: man
blickt 24 Stunden am Tag aufs Meer!
Wir sahen
ständig Delphine, einen Hai auf der Jagd, und vor allem: auf halber
Strecke nach Palma begleiten uns zwei Schulen Grindwale frühmorgens
volle 2 Stunden lang! Ein unvergessliches Erlebnis! Die Wale liessen sich
von unserer Bugwelle stossen, drehten sich unmittelbar neben unserem Schiff
immer wieder auf den Rücken und schauten zu uns hoch!
Wir waren fasziniert und hatten eine Heidenfreude. Momente, die man so
an Land nicht erleben kann - da bleibt halt nur der Tierfilm im Fernsehen.
Und dann
der grosse Moment: das erste emotionale, grosse Etappenziel unserer gerade
begonnenen Reise: die Ansteuerung von Palma! Erwin Schwizer erwartet uns
mit seinem grossen Team von der Ermar Mallorca und Christas Eltern, am
Vortag in Palma gelandet, winken uns schon von Weitem zu! Leinen fest,
Maschine aus, Wiedersehensfreude, Umarmungen! Zur Feier des Tages mache
ich eine Flasche gekühlten Aigle les Murailles auf. Wir plaudern
den ganzen Nachmittag drauf los und gehen abends gediegen Essen. Wir schwelgen
in spanischen Tapas und spanischem Rotwein!
Hier in Palma
wollen wir eine Woche bleiben und diverse Arbeiten in Angriff nehmen.
Die Liste ist lang! Wir sind motiviert, alles in Ordnung zu bringen, denn
ab Ägypten entfernen wir uns dann für mehrere Monate von der
nautischen Zivilisation'.
Schiff und
Crew haben sich während der ersten 2500 Seemeilen sehr gut bewährt.
Es sind keine ernstzunehmenden Mängel am Schiff aufgetaucht. Wir
sind jetzt überzeugt, das richtige Schiff gekauft zu haben. Das ist
ein schönes und beruhigendes Gefühl. Und plötzlich fühlen
wir uns frei und fähig unseren Bug in jede Himmelsrichtung zu steuern.
Wie geplant nach Osten, oder eventuell doch barfuss' nach Westen?
Wir krempeln
jetzt erst einmal die Ärmel hoch und bringen die anstehenden Arbeiten
in Ordnung - und planen vielleicht mal gar nicht zu viel!!
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