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Das
Rote Meer
Port-Said
- Suezkanal - Safaga - Marsa Wadi Lahami - Port Sudan.
Mein Herz
schlägt wilder als je zuvor in meinem Leben. Wir segeln mit 7 Knoten
bei Sturm durch die Nacht, irgendwo im Golf von Suez, und Christa schreit
vom Navigationstisch hoch: "Simi, Simiiii, sofort halsen, sofooort,
wir sind auf dem Riff!" Das Echolot zeigt nur noch 3 Meter Wassertiefe
an! Der akustisch piepsende Tiefenalarm schürt die aufkommende Panik
zusätzlich. In meinen Gedanken kann ich aus der Fischperspektive
den Rumpf unserer MON AMIE nur 1 Meter über das dunkle Riff jagen
sehen, die Angst schnürt mir die Kehle zu. Zum Wenden ist kein Platz
und um richtig zu halsen ist keine Zeit, denn unser Grosssegel über
die Talje dicht zu nehmen braucht mindestens eine Minute. Die haben wir
niemals. Schon in der nächsten Sekunde kann das Ende da sein. Das
Ende unserer MON AMIE, unserer Weltumsegelung, unseres Lebensinhaltes.
Und wir selbst müssten dabei auch noch glimpflich davonkommen...
Auf Sekundenbruchteile
gerafft läuft der bisherige Tag in meinem Gehirn ab, der sozusagen
durchwegs beschissen war. Am Morgen von Kairo zurückgekommen, mussten
wir im Yachtclub von Suez 3 Stunden lang erbärmlich mühsamen,
dazu unverständlichen und ungerechtfertigten Papierkrieg mit den
Behörden über uns ergehen lassen. Diese einzige negative Seite
in Ägypten zerrt langsam an unseren Nerven. Endlich doch zurück
auf unserem Schiff machten wir noch einen vororganisierten Stop zum Dieselbunkern.
Natürlich mussten wir eine Stunde aus unerklärlichen Gründen
warten und schlussendlich sollte der Diesel urplötzlich doppelt so
teuer sein wie vorher abgesprochen! Nach einem weiteren Fight an diesem
Morgen konnten wir dann endlich auslaufen. Eigentlich war es im frühen
Nachmittag schon etwas spät dafür, doch nochmals durch die Papiermühle
treten für eine weitere Nacht in Suez war auch eine Horrorvorstellung.
Also liefen wir aus. Nach dem Segelsetzen nahm der Wind natürlich
zu und zu und zu. Auf ein Reff folgte das nächste, viele Ölbohrinseln
und Tanker waren im Weg. Dann ein Knall: Genuafall gebrochen. Das halbe
Segel im Wasser. Hochhieven, Ersatzfall klarieren, ins Profil einfahren,
setzen, gebrochenes Fall aus dem Mast mühsam ausfädeln, damit
es die anderen Falle nicht stört. Kaum war, nach einer Stunde Arbeit,
das Segel wieder oben, passierte es: nach einer Kurskorrektur an der Windfahne
wollte ich mich wieder ins Cockpit begeben, verlor auf dem nassen Deck
den Halt, wurde wie ein Drache horizontal in die Höhe gehoben und
knallte schliesslich mit voller Wucht und dem Rücken voran auf die
harte Kante der Cockpitumrandung. Der Schlag war unbeschreiblich, mir
blieb die Luft weg und ich dachte als erstes: da muss was kaputt sein...
Christa hat sozusagen aus bester Sicht alles beobachtet und war schockiert
ob meinem leeren Gesichtsausdruck. Doch ich hatte Glück. Wir merkten
schnell, dass noch alles funktioniert (für ganz alles war nicht die
Zeit!) und es blieben nur Schreck und Schmerzen. Der Sturz, die hereinbrechende
Dämmerung, der unwahrscheinlich dichte Berufsverkehr, die Angst vor
unbeleuchteten Bohrinseln, die es hier geben soll und die 8-9 Windstärken
addierten sich und führten in unseren Gehirnen zum Entscheid, eine
Bucht für die Nacht anzulaufen. Die in Frage kommende Bucht sah auf
der Karte recht einfach anzusteuern aus. Eine bequeme Übernachtung
lockte, etwas Ruhe nach all der Aufruhr, morgen bei Tag dann wieder weiter.
Erfahrtes Wissen, dass man nachts in Korallengebieten nichts, aber auch
gar nichts ansteuert, was nicht gut befeuert ist, dass das GPS viel zu
ungenau für die terrestrisch vermessenen Seekarten ist, vor allem
hier im Roten Meer; all das unterlag der Versuchung, versank in einer
geistigen Umnachtung durch Überreizung. Und es kam klassisch wie
es kommen musste, wie in Büchern über Yachtunfälle tausend
Mal beschrieben: das besagte Riff hätte noch mindestens eine Seemeile
entfernt sein müssen...
Christa sagte jedenfalls zu Rania, sie solle dann bei der Ansteuerung
doch einfach die Rolle des Echolot-Beobachters übernehmen. "Soll
ich jetzt schon zum Echolot sitzen?" fragte Rania. "Nein, nein,
wir sind noch weit vom Riff weg, wir sagen es Dir, wenn es soweit ist",
so unsere Antwort. Eine Minute später dachte dann Rania aber so für
sich, dass sie ja genau so gut jetzt schon rübersitzen kann, hat
sie im Moment ja keine andere Aufgabe. So setzte sie sich neben mich,
der von Hand steuerte, und sagte plötzlich sehr verwundert: "Du
Simi, schau mal, wir haben nur noch 6 Meter Wassertiefe"! Wir hätten
zu diesem Zeitpunkt noch weit über 200 Meter unter dem Kiel haben
sollen. Für yachtübliche Echolots ist das zu tief, es gibt dann
kein Signal, die Anzeige blinkt nur, man ist auf der sicheren Seite. Als
ich die 6 Meter sah, war ich nicht im geringsten schockiert, denn oft
gibt es im Tiefenwasser thermische Sprungschichten, die ein Fehlecho'
auslösen. Das gibt es auch mitten auf dem Atlantik. Ich war gerade
dabei, dies Rania zu sagen, als die Tiefe langsam aber sehr stetig abnahm.
Nun auch verwundert rief ich dies Christa zu, die exakt in diesem Moment
dabei war, einen Fix auf die Karte zu zeichnen...
Und plötzlich ist alles klar, das ist kein Fehlecho, die Karte muss
um etwa 2 Seemeilen falsch sein! Ich schwitze Angst heiss und kalt und
spüre förmlich den unvermeidlichen Todesstoss, wenn wir aufs
Riff krachen. Wie von weit her höre ich Christas: "sofooort
halsen!" Ohne zu zögern, mache ich zum ersten Mal in meinem
Seglerleben eine Patenthalse, völlig absichtlich. Es braucht nicht
einmal Überwindung, wir sehen es als einzige logische Lösung,
noch heil davonzukommen. Der Schlag im Rigg ist heftig, aber nicht so
enorm wie ich befürchtet habe. Die Grundberührung bleibt aus,
das Echolot steigt sehr sehr langsam an: 3.5 Meter, 3.8 Meter, 4.1 Meter...hoffentlich
liegt jetzt nicht noch ein Korallenstock vor dem Bug...4.5 Meter, bitte,
bitte...kein Knall...5 Meter, 8 Meter, 12 Meter, 22 Meter.
Puuh!! Wir haben's geschafft. Gerettet hat uns sozusagen Rania, die sich,
einer Eingebung folgend, gleich ans Echolot setzte! Zusätzlich gefährlich
sind die steilen Riffwände, da folgen 200er, 100er und 10 Meter-Tiefenlinie
praktisch aufeinander. So kann das Echolot auch keine Vorwarnung'
geben. Scheinbar sind wir also noch zu weit nördlich. Wir wollen
es nochmals versuchen und machen einen weiten Bogen nach Süd. Als
der Kurs in die Bucht wieder anliegt, spielt uns das Echolot dann wirklich
einen Streich. Noch weit draussen auf See wechselt es vom Blink-Modus
auf 30 Meter, 15 Meter, 9 Meter, Rania schreit: "8.5 Meter"!
Wir gehen sofort über Stag, das Echolot wechselt in den Blink-Modus.
Die Nerven liegen blank, wir haben die Nase voll vom Land. Plötzlich
lockt das sichere, offene Meer'. Doch was machen wir gegen die unbefeuerten
Ölbohrinseln? Die Nacht ist stockdunkel, mondlos, die Gischt beeinträchtigt
die Sicht zusätzlich. Ganz einfach: wir werden im Fahrwasser der
Tanker segeln. Das ist zwar verboten, doch können wir dabei sicher
sein, keine unbeleuchteten Objekte vor den Bug zu kriegen. Zudem macht
uns Verkehr kein Kopfzerbrechen, wir müssen halt bei Bedarf ausweichen,
denn im Fahrwasser haben wir als Segler kein Wegerecht. Es gibt zwar eine
harte Nacht, doch ohne weitere Probleme. Am nächsten Mittag sind
wir ab all dem Stress derart übermüdet, dass wir eine Bucht
anlaufen. Im Red Sea Pilot steht: "little protection against heavy
northerly winds, can be very rolly". Klingt nicht gerade lauschig,
aber wir brauchen eine Pause. Vor Anker ist es dann zwar nicht wie in
Abrahams Schoss, aber doch ruhiger. Wir können etwas kochen und fallen
in einen tiefen Nachmittagsschlaf. Am Abend messen wir über 40 Knoten
Wind in der Bucht. Wir machen, zum ersten Mal auf der MON AMIE, Ankerwache
und teilen uns die Nacht zu dritt auf. Morgens nach dem Frühstück
sind wir unschlüssig ob wir auslaufen sollen/können. Plötzlich
beginnt der Anker auf dem schlechten Ankergrund überfordert zu schleifen
und nimmt uns die Entscheidung ab. Also raus auf See, wir setzten wieder
nur die gereffte Stagfock und segeln stabil Rumpfgeschwindigkeit. Da wir
Hurghada nachts erreichen würden, disponieren wir um nach Safaga.
Da soll auch der Behörden-Türk' easier sein. Nach weiteren
120 wilden Seemeilen und einer strengen 3 stündigen Riffansteuerung
fällt endlich der Anker in Safaga! Hier verlässt uns Rania um
zurück nach Kairo zu reisen, und von da heim in die Schweiz. Wir
sind etwas traurig, haben wir zu dritt doch viel schönes erlebt und
harte Stunden durchgemacht. Kairo, die Pyramiden, den Bazar, die 2-tägige
Durchfahrt durch den Suezkanal und den harten Törn im nördlichen
Roten Meer.
Wir klarieren
aus Ägypten aus, mit der Erlaubnis, noch einige Tage im sozusagen
unbewohnten' Süden des Landes verbringen zu dürfen. Das
tönt einfach, ist es aber nicht. Hinter dieser Erlaubnis stecken
stundenlange Behördengänge, Päckchenweise Zigaretten als
Bakschisch', Schmiergelder, Lügen, smalltalk und Glück.
Doch da sind, in einem frisch aus der Wüste gestampften Touristen-Resort,
meine Schwester Nicole mit Familie und meinem Göttimeitli Sina in
den Tauchferien. Und das Beste: Unsere Mutter hat genau in diesen Tagen
Geburtstag. Dazu hat Nicole meinen Eltern den Flug dahin geschenkt. Das
ganze als Überraschung, sie wusste bis 2 Tage vor Abflug nichts!
Wir
haben seit Port Said immer mal wieder bei Seglern nachgefragt, doch dieses
Wadi Lahami' kannte niemand. Wir werden es schon finden, sagten
wir uns. Und siehe da: auf den Tag genau steuerten wir die Marsa Wadi
Lahami, die ganze Familie, insgesamt 3 Generationen, wartete winkend am
Strand.
Wir schmissen den Anker und schwammen an Land. Die Wiedersehensfreude
war riesig! Die
Hotelverwaltung war ganz aufgeregt, seien wir doch das erste Schiff überhaupt,
dass hier einfahre! Man merkt gut, wir sind wirklich nicht mehr in Europa.
Die Fahrt von Port-Said hierher war ein lückenloses grosses Abenteuer
und wo sonst sagt man einem, man sei hier die erste Yacht überhaupt?!
Wir genossen das Wiedersehen und den Luxus der Hotelanlage. Süsswasserdusche
und Pool, kaltes Bier, gediegenes Essen am Tisch mit Tischtuch etc., Tauchen,
Schnorcheln, Familienspass.
Mein Göttimeitli Sina staunte ab unserem Boot, jetzt versteht sie
auch, dass wir nicht in einem Haus, sondern auf einem Schiff wohnen. Denn
bis anhin kannte sie nur die kleinen, offenen Boote vom See. Da ist das
natürlich schwer verständlich!
Nachdem alle
wieder abgereist sind, segeln wir in 3 Tagen nach Port Sudan. Während
der Fahrt beginnt die Meerwasserpumpe des Steuerbordmotors zu lecken,
wir haben Salzwasser im Öl und stoppen die Maschine sofort.
Trotz aller
zwiespältigen Aussagen über Sudan werden wir hier überaus
freundlich empfangen und behandelt. Port Sudan ist ein sicherer Ort. Man
muss sein Dinghy nicht abschliessen und kann sich bedenkenlos in der Stadt
bewegen. Die Leute staunen einen zwar an, wir staunen zurück. Auf
eine offene, gewinnende Art. Und der Früchte- und Gemüsemarkt
lässt keine Wünsche offen!
Wir hoffen auf eine zügige Reparatur des Motors und sobald wir bereit
sind, werden wir den zweiten Teil des Roten Meeres vor den Bug nehmen.
Hoffentlich wird es etwas ruhiger!
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