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Kap der Guten Hoffnung
Port Elizabeth - Port St. Francis - Knysna - Mossel Bay - Simon's Town - Kapstadt
Wir sind in Port Elisabeth angekommen - die Wild Coast im Kielwasser. Und
da ist erst mal Besuch angesagt. Pascal und Marc, meine beiden besten Freunde
aus der Schulzeit, wollen zwei Wochen mit uns auf der MON AMIE verbringen.
Pascal war schon in Holland und in Djibouti bei uns und ist auch früher schon
gesegelt, doch für Marc ist es das erste Intermezzo als Seemann. Ich selbst
war da zwar in keiner Weise skeptisch, aber mal ehrlich: würden Sie es wagen,
dieser Person das Steuer zu übergeben?
Wie dem auch sei. Uns hat er jedenfalls Glück gebracht, denn schon auf dem
ersten Schlag sahen wir mehrere Wale und stiessen auf eine Schule Delphine mit
Hunderten von Tieren. Über eine Stunde zogen sie mit der MON AMIE mit, liessen
sich von der Bugwelle spielerisch stossen, schlugen Salti und versetzten uns
in Begeisterung. Als dann Marc auf Nachtwache am Steuer auch noch ein
losgerissenes Fischernetz aufmerksam erspähen und in letzter Sekunde ausweichen
konnte - und mir somit eine nächtliche Tauchaktion erspart blieb - wurde der
frisch gebackene Seemann bereits und etwas unverhofft zum Helden ernannt!
Zwei Tage später liefen wir in Knysna ein. Knysna liegt an einer natürlichen
Lagune, die sich viele Kilometer landeinwärts erstreckt. Die Landschaft ist
stark bewaldet und erinnert eher an die Seen Kanadas als an Afrika. Nur, dass
es hier Krokodile am Ufer hat...
Die Einfahrt führt durch enge Felsen und Untiefen, ist aber eine Stunde vor
Hochwasser und bei ruhigem Meer, so wie wir es antrafen, problemlos zu machen.
Zwecks Wiedersehensfreude, Taufe unseres Seehelden und auch weil Dienstag war,
tranken wir dann zur Feier des Tages ein halbes Bier. Oder waren es elfeinhalb
Biere? Ich will mich da im Nachhinein nicht mehr festlegen, doch mit den
Videoaufzeichnungen, die Christa dabei heimlich gemacht hat, habe ich meine
beiden Freunde bis zum Lebensende in der Hand! Und Christa mich.
Bei der Ausfahrt von Knysna nahmen wir es dann mit der Tide nicht mehr so
genau. "Kennen wir ja jetzt." Also ging es frühmorgens mit dem ersten Büchsenlicht
los. Als wir uns der Ausfahrt näherten, wies Christa auf weisse Brecher hin, die
zwischen den Felsen standen. "Lass uns da erst mal näher rangehen", entgegnete ich,
"vielleicht täuscht die Perspektive."
Perspektive hin oder her, aber eine Stunde nach Niedrigwasser die Durchfahrt zu
wagen, ist keine wirklich gute Idee. Die MON AMIE bekam zwar nur hochgezogene Wogen
vor den Bug, die uns durchschüttelten, doch auf beiden Seiten türmten sich
furchterregend nahe rollende Brecher. Voll Hawaii-mässig.
Nach einigen nervösen Momenten waren wir dann durch und atmeten in tiefem Wasser
erleichtert auf. Manchmal kann einem das Adrenalin ganz schön auf den Keks gehen!
In Mossel Bay angekommen, waren die zwei Wochen von Pasci und Marc leider schon vorbei.
Viel zu schnell vorbei. Aber viele Erinnerungen werden uns erhalten bleiben.
Sie fahren mit unserem Auto nach Kapstadt voraus, stellen es beim Yachtclub für uns
hin, und machen noch zwei Tage die Stadt dort unsicher.
Wir müssen in Mossel Bay einige Tage an einer unruhigen Boje auf ein gutes
Wetterfenster warten. Plötzlich ist es da. Es geht los. Los Richtung Kap Agulhas und
Kap der Guten Hoffnung!
Kaum fünfzig Stunden unterwegs und schon bin ich übermüdet. Eigentlich ist das
auch nicht überraschend, bin ich doch seit dem Auslaufen in Mossel Bay kaum zum Schlafen
gekommen. Meine Glieder sind schwer, mein Blick ist müde, meine Handflächen sind rot und
voller Schwielen, doch mein Verstand ist klar und mein Kopf hellwach. Was würde ich in
unserem Seefahrerleben tun ohne Adrenalin? Es hält mich wach, es macht mich aufmerksam,
ich bin voll da. Es ist meine Wache, ich habe Dienst. Die MON AMIE ist mein, ich bin
Skipper, Kapitän. Ein stolzer Titel. Verantwortung für Crew und Schiff. Für Christa
meine Liebe, und MON AMIE unser Schiff und zugleich unsere Insel im Weltenwind.
Seit wenigen Stunden sind wir wieder im Atlantischen Ozean. Wir sind gerade vom
Indischen Ozean über eine unsichtbare Linie zurück in den Atlantik gesegelt. Es
handelt sich um eine geographische Linie, einen Meridian. Geographische Linien und
geographische Merkmale bedeuten uns viel.
Dieser Meridian in unserem Kielwasser ist ein ganz besonderer. Er führt von Spitzbergen
hoch im Norden Europas über Tromsö in Norwegen, durch den Bottnischen Meerbusen, über
Warschau, Budapest, Belgrad, den Peloponnissos in Griechenland, Bengasi an der Grossen
Syrte, durch die Lybische Wüste und die Sahara, Abéche in Tschad, durch den Sudan, das
Kongo-Becken, Saurimo in Angola, durch die Steppen der Kalahari nach Südafrika und
schliesslich an das Kap Agulhas. Dort trennt diese imaginäre Linie die auf den Namen
"20 Grad Ost" hört den Atlantik vom Indik und führt zudem durch den südlichsten Punkt
des Kontinents Afrika.
Afrika! Seit zweieinhalb Jahren segeln und leben wir in Afrika. Mal motorend im Suezkanal,
mal segelnd am Horn von Afrika, mal ankernd vor Sansibar, mal reparierend und malend in
Richards Bay.
So verschieden die afrikanischen Länder von Ägypten über Sudan, Eritrea, Djibouti,
Kenya, Tanzania, Sansibar und Südafrika auch sind, so ist es dennoch nie und nimmer mit
Europa zu vergleichen. Nicht im Guten und nicht im Schlechten.
Man kann gerne sagen, dass Afrika uns verändert hat. Zwei Wochen in einem schönen Hotel
hätten dazu nicht gereicht. Doch sich über zwei Jahre mit eigener Kraft in Afrika vorwärts
zu bewegen hat diese Veränderung ermöglicht.
Es hat für uns gereicht, um einen Teil vom Wesen Afrikas zu entdecken, zu erfahren, zu
empfinden. Zu spüren, zu schmecken, und zu riechen. Es anzufassen, mal begeistert, mal
angeekelt, mal arrogant mal voller Demut. Es hat uns gezeigt, dass es vielleicht ganz gut
tut, eine kleine Distanz zum Wesen Europas zu halten, und vielleicht hat Afrika aus uns
sogar bessere Europäer gemacht.
Doch jetzt im Moment beschäftigt uns diese geographische Linie. Wir haben Kap
Agulhas gerundet. Die südlichste Spitze Afrikas liegt hinter uns!
Fast drei Jahre ist es her, dass wir im Mittelmeer unterwegs waren und den
nördlichsten Punkt Afrikas querab hatten. Wir haben damals den Atlantik in der Strasse
von Gibraltar verlassen und nach über 11'000 Seemeilen im Roten Meer und Indik, wird
der Bug der MON AMIE nun wieder von Atlantikwasser umspült. Wie es schmeckt? Salzig.
Der Wind weht mit sieben Windstärken und oft spritzt Gischt an Deck. Obwohl wir
schützendes Ölzeug tragen, findet das Seewasser irgendwie seinen Weg auf unsere Haut.
Kalt ist es geworden, sehr kalt sogar. Die Wassertemperatur beträgt nur noch zwölf
Grad Celsius. Wir runden Kap Agulhas mit grossem Abstand und sehen bei untergehender
Sonne leider nicht sehr viel von dieser berühmten Ecke. Doch die Linie, sie ist da. Wir
spüren sie und wir sehen sie auf der Seekarte. 35° Süd / 20° Ost!
Ab Kap Agulhas sind es noch 200 Seemeilen bis zum Kap der Guten Hoffnung. Wir
segeln mit kleiner Fock und drei Reffs im Grosssegel und sehen mitten auf dem Meer den
ersten wild lebenden Seelöwen unseres Lebens. Er scheint richtig interessiert zu sein an
unserem Schiff, schaut uns überrascht an und springt immer wieder vollkommen in die Luft.
Wir nehmen den Seelöwen als gutes Omen und preschen weiterhin in Richtung des zweiten
legendären Kaps auf diesem Törn.
Wie oft wohl haben wir schon vom Kap der Guten Hoffnung gelesen und geträumt?
Von alten Entdeckern, berühmten Weltumseglern und Profiregatten, deren Kurse um diese
berüchtigte Wetterecke führten.
Doch es ist uns noch nicht vergönnt, Kap der Guten Hoffnung zu runden. Der Südostwind
nimmt zu, mehr und mehr. Noch bevor die Nacht hereinbricht schätzen wir gute acht Windstärken,
in den Böen sogar deutlich mehr. Wir jagen auf räumlichem Kurs in die Nacht und Danger Point
entgegen, der deutlichsten Landmarke zwischen Kap Agulhas und Kap der Guten Hoffnung. Mit dem
dritten Reff und der Fock sind wir fast übertakelt, doch ein Reff in die Fock würde die MON AMIE
nur luvgierig machen. Wir sind nun bei Beaufort neun angekommen. Eigentlich müssten wir jetzt
das Grosssegel bergen und zu der Fock das Trysegel setzen. Doch wir scheuen den Aufwand und
segeln weiter. Obwohl wir sehr schnell sind, würde die Umrundung vom Kap der Guten Hoffnung
leider in die Nacht fallen.
In der False Bay, der Bucht unmittelbar vor dem Kap, liegt Simon's Town, ein gut geschützter
Yachthafen. Wir wissen, dass man am Kap selbst, einer der gefürchtesten Wetterscheiden der Welt,
gut und gerne zwei Windstärken gegenüber der Umgebung hinzuzählen muss. Mehr Wind als uns
irgendwie lieb wäre. So disponieren wir nicht ganz unerwartet auf Simon's Town um. Wir halsen,
runden Kap Hangklip und preschen mit schäumender Bugwelle in die False Bay. Kap der Guten
Hoffnung ist auf unserer Backbordseite, wir können das Leuchtfeuer von Kap Point deutlich sehen.
Ich bin auf Wache und sehe dieses berühmte Leuchtfeuer. Ich bin aufgeregt und weiss nicht,
ob es mehr wegen des Kaps oder des vielen Windes wegen ist. Und gerade dieser scheint noch
stärker zu werden. Die MON AMIE wird luvgierig und ich nehme das Grosssegel ganz herunter.
Da die zu bergende Segelfläche so klein ist, muss ich Christa nur des Manövers wegen vorwarnen
aber nicht aufs kalte Deck heraus holen. So ist sie mit einem Ohr dabei, spürt, wie ich etwas
anluve, hört das Segel schlagen, dann wie es ruhig wird, bis zu meinem "okay". Jetzt weiss sie,
dass ich wieder sicher im Cockpit bin und schläft gleich weiter. So, wie wir das schon immer
gegenseitig handhaben.
Doch dann entdecke ich plötzlich, dass sich etwas an der Windsteueranlage verfangen hat.
Ich gehe mit der Stirnlampe zum Heck und leuchte in das nachtschwarze Wasser. Was da hängt,
sieht aus wie eine Schlange und jagt mir einen gehörigen Schreck ein. Vorsichtig ziehe ich
mit dem Bootshaken daran herum. Da hat die Schlange, die genau so aussieht wie ein
Wasserschlauch, auf einmal Wurzeln und entpuppt sich als Kelp. Kein Grund zur Sorge also!
Mit dem ersten Tageslicht laufen wir schliesslich im Hafen ein. Durchgefroren wie wir sind,
gibt es als erstes ein deftiges Frühstück mit Rösti und Spiegeleiern, für mich Kaffee und
Rotwein und für Christa Tee. Dann hauen wir uns in die Koje und verschlafen den ganzen Tag.
Eine Woche später kommen unsere Gäste Laure und Stephan an. Sie haben das Glück, dass
ihr erster Schlag um das berühmte Kap gehen wird, aber das Pech, dass auf ihre Ankunft
sechs Tage Sturm aus Südost folgen.
So fahren wir mit dem Auto Richtung Gansbaai. Dies ist weltweit Tauchplatz Nummer eins um
einen der grössten Fische zu sehen den es gibt, den Grossen Weissen Hai! Wir wollen mit einem
Tourveranstalter in einen Käfig steigen, um einen Weissen Hai unter Wasser sehen zu können.
Wir haben Glück und sehen schon bald einen solchen ums Schiff kreisen, geködert mit einem
Thunfischkopf. Das Boot bewegt stark vor Anker und die Wassertemperatur beträgt nur zehn Grad.
Der Leiter fragt ganz cool, wer einen Tauchanzug wolle. Wie im Klassenzimmer schauen wir alle
ganz unauffällig weg. Ich denke dabei aber, dass dies ja der einzige Hai des heutigen Tages
sein könnte, und dass ich schon seit ich ein kleiner Junge war vom Weissen Hai fasziniert bin.
So melde ich mich trotz Nervosität als erster. Kaum in den Käfig gestiegen, schmerzt mich das
kalte Wasser enorm. Doch da ist er schon! Riesig, kraftvoll, ganz einfach Hai. Der Grosse
Weisse. Unglaublich.
Am Weihnachtstag selbst dann endlich der richtige Wind. Wir laufen zu viert aus Richtung
Kap der Guten Hoffnung. Und wir haben zunächst Glück: wir können das Kap der Guten Hoffnung bei
Tag und Sonnenschein runden und ziemlich nahe heran segeln, obwohl die steilen Felsen mit
zahlreichen Untiefen und Wracks gespickt sind.
Das Kap ist optisch auch wirklich so schroff und abweisend wie man es sich vorstellt aber
in seiner Wildheit wunderschön.
Wir sind aufgeregt und bewegt, küssen uns, machen ein Foto und geniessen den etwa zwei
Stunden dauernden Kurs rund ums Kap. Immer mal wieder spritzt wegen den starken
Turbulenzströmungen eine Welle über die MON AMIE und Steuerbord querab liegt es
wahrhaftig - das Kap der Stürme! 34°23'S - 18°30'E.
Doch kaum haben wir es in unserem Kielwasser, dreht der Wind uns auf die Nase und
nimmt an Stärke zu. Zudem kommt wie aus dem Nichts dichter Nebel auf. Bald schon liegt die
Sichtweite unter hundert Metern. Wir müssen umkehren und zurück nach Simon's Town. Wir haben
an diesem Tag das Kap zwar zweimal gerundet, sind aber trotzdem nicht weiter gekommen. Kap
der Guten Hoffnung muss wohl wirklich verdient sein!
Am nächsten Tag klappt es dann auch über das Kap hinaus, und nach einem Halt in Hout Bay,
erreichen wir Kapstadt.
Beim Einlaufen in die "Table Bay" wird der Tafelberg von seinem berühmten "Tischtuch"
geziert, einer Wolkendecke, die, ähnlich wie bei Föhn, schon von weit her Fallböen anzeigt.
Diese fauchen im Winter derart stark durch die Stadt, dass entlang den Gehsteigen Drahtseile
gespannt sind, damit die Passanten nicht umgeweht werden. Doch auch für uns sind, obwohl jetzt
Sommer herrscht auf der Südhemisphäre, die Böen heute leider gigantisch stark und die MON AMIE
läuft, ganz ohne Segel, krängend in den Vorhafen ein. Das Anlegemanöver im Royal Cape Yacht Club
wird dann auch kriminell und schreckt einige verängstigte Yachtbesitzer auf!
Doch wir haben unser Schiffchen im Griff und legen mit, im wahrsten Sinn des Wortes, wehenden
Fahnen an.
Diese Segeltage, Kap Agulhas und Kap der Guten Hoffnung, sind der bisherige seglerische
Höhepunkt in unser beider Seglerleben.
Der Champagner, ein schon seit der Abreise aus der Schweiz für diesen Anlass mitgeführtes Geschenk,
darf nach dieser Umrundung nun endlich geöffnet werden, und er schmeckt so gut, wie ein Champagner
nur schmecken kann, wenn man noch selber Salz im Gesicht, und Kap Agulhas und das Kap der Guten
Hoffnung im eigenen Kielwasser hat!
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