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 In die Hände gespuckt

Richards Bay, Südafrika

21.3 Knoten zeigt das Speedometer an! Wir surfen eine Welle runter, das ganze Schiff erzittert wie eine Jolle. Ich stehe hochkonzentriert am Steuerrad, und es ist ein geiles Gefühl, das wilde Schiff unter Kontrolle zu halten!

In den letzten zwei Stunden stand unsere Durchschnittsgeschwindigkeit über 15 Knoten. Wir segeln Vorwindkurs unter Grosssegel und Spinnaker. Die Belastung auf dem Material ist enorm. Bedienungsfehler an Winschen und Trimmleinen sind in solchen Situationen nicht erlaubt. Steuerfehler schon gar nicht. Wir segeln auf der ZEUS, einer FAST 42. Gebaut in Südafrika. Dieses Schiff ist eine richtige Rennziege.

Christa und ich wurden als Crew für die Überführung von Richards Bay nach Durban angeheuert. Dort wird eine grosse, einwöchige Regattaveranstaltung stattfinden. Auch da werden wir dabei sein.
Auf halbem Weg sieht Don, Skipper und Eigner der ZEUS, plötzlich ein grosses Tier aus dem Wasser springen. Er deutet in diese Richtung, und nun sehen wir das Unglaubliche auch: ein weisser Hai springt weitere zwei Mal komplett mit seinem ganzen massigen Körper in die Luft! Dass der 'Grosse Weisse' an der Kapregion zu Hause ist, wussten wir, aber dass wir einen sehen könnten, hätten wir in unseren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt. Doch Irrtum ist ausgeschlossen. Der Hai ist riesig, seine Unterseite schneeweiss und es sieht genauso aus, wie auf den wenigen existierenden Bildern eines springenden weissen Hais. Ein Naturschauspiel erster Klasse. Ich schreie vor Aufregung und Begeisterung laut auf!

Der Wind nimmt stetig zu. Konzentration ist angesagt. Der Adrenalinspiegel steigt bei uns allen an. Eine Stunde später entschliessen wir uns, den Spinnaker zu bergen. Der Skipper übernimmt das Steuer und der Rest von uns macht sich bereit zum Einholen des riesigen Segels. Nur zu viert sind wir recht unterbemannt für dieses Manöver. Noch dazu auf solch einem komplexen Regattaschiff. Doch ist es für einen Segler schwierig, dem Speed-Rausch zu widerstehen und ein Segel vor der Belastungsgrenze herunterzunehmen!
Weil wir knapp an Händen sind, ist auch der kleine Steuerfehler plötzlich da. Wir machen einen fürchterlichen Sonnenschuss, und die ZEUS legt sich aufs Ohr. Wir müssen uns festhalten um nicht über Bord zu fallen. Der Spinnaker geht samt Schoten und sogar mit dem ganzen Fall verloren. Völlig zerrissen und ruiniert. Da kann man sich vom Material, und der Eigner sich zusätzlich von einigen Tausendern, nur noch verabschieden!
Doppelt gerefft und mit der Fock laufen wir schliesslich dennoch gutgelaunt - an Ereignissen hat es an diesem Tag ja nicht gefehlt - in den grossen Handelshafen von Durban ein. Es ist gerade am Eindunkeln, und die moderne Skyline mit Millionen von Lichtern und riesigen Wolkenkratzern wirkt auf Christa und mich völlig unwirklich und irgendwie gespenstisch. Nach einem Jahr in Drittweltländern und meistens in kleinen Dörfern mit Lehmhütten, kann man das wohl als sogenannten Kulturschock bezeichnen! Da bleibt nur die Frage welche Kultur einen eigentlich mehr schockiert...

Nur mit ein paar Kleidern, Ölzeug und Schlafsack ausgerüstet, verbringen Christa und ich die ganze Regattawoche in Durban und schlafen auf der ZEUS. Wir segeln viele tolle Regatten. Die spannendste ist ein Rennen im Hafenareal bei 8 Windstärken.

Der stürmische Wind setzt allen Booten zu und bei einem Feld von 200 Yachten ist das Gedränge an den Wendemarken enorm. Wir segeln dieses Mal, im Gegensatz zu sehr vielen anderen Teams, bruchlos in die vordersten Plätze.
Es sind tolle Tage. Segeln mit viel Spass und nicht allzuviel Verantwortung.

Für uns beide ist diese Zeit eine optimale Abwechslung zu unserem letzten Törn von Kenya nach Südafrika. Wir kriegen etwas Abstand zu den anstehenden technischen Problemen der MON AMIE, und ein wenig Distanz tut jeder Betrachtung gut. Des weiteren lernen wir in dieser Woche die ganze nautische Szene Südafrikas kennen. Das wird später bei der Überholung der MON AMIE noch bei manchen Firmen und Herstellern Türen öffnen und Rabatte ermöglichen.
Gutgelaunt kommen wir zurück nach Hause auf unser Schiff und spucken jetzt ganz gehörig in die Hände!

Motorenrevision, Ruderkonstruktion, Teakdeck. Das sind die drei grossen Schlagworte für uns. Nun gilt es Lösungen anzugehen.
Unsere Zwillingsmotoren haben fast seit Beginn unserer Reise immer wieder für Probleme, und vor allem viel Arbeit, gesorgt. So kam es zu dem Zwangsaufenthalt in Djibouti, dadurch zur Verlängerung der Reise um ein Jahr, und schliesslich zu der langen nonstop Fahrt von Kenya nach Südafrika. Ganz zu schweigen von unseren strapazierten Nerven und meinen ölverschmiert verbrachten Tage und Wochen im Maschinenraum! Dank unserem System von zwei Motoren sind wir wohl überhaupt aus eigener Kraft so weit gekommen.
Dass wir aber ein Ruder, geschweige alle beide, verlieren könnten, hätten wir nicht in unseren schlimmsten Alpträumen geträumt. Sie schienen so robust zu sein! Doch es geschehen nun einmal viele seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde. Vor allem auf dem weiten Meer! Wir haben jedenfalls beide Ruder, wohl innerhalb von wenigen Tagen, verloren. Glatt abgebrochen. Sie liegen jetzt irgendwo auf etwa zweitausend Meter Tiefe in ewiger Dunkelheit. So endgültig versunken, wie Dinge im Meer eben immer wieder versinken. Auf Nimmerwiedersehen. Uns bleibt nur neue Ruder zu konstruieren. Neue und noch bessere.
Das Teakdeck war beim Kauf der MON AMIE schon nicht mehr ganz in bestem Zustand und dies wurde auch im Verkaufspreis kulant berücksichtigt. Tausende von Meilen unter tropischer Sonne, sowie die Regenzeit in Ostafrika, haben die Dichtigkeit des Decks nun arg in Mitleidenschaft gezogen. Bei schwerem Seegang zählten wir bis zu 22 (kleine) Leckstellen. Um das Übel an der Wurzel anzugehen und für immer aus dem Weg zu räumen, wollen wir das Teakdeck ganz und gar entfernen.
Dies sind die drei grosse Schlagworte. Doch sie sind eingebettet in eine Arbeitsliste von über dreihundert Punkten! Denn so nebenbei wollen wir noch das Freibord und den Maschinenraum neu streichen, den Vorstag verändern, sowie viele Kleinigkeiten erledigen, wie zum Beispiel endlich die Feuerlöscher an getrennten Orten befestigen, einen guten Platz für unsere Seenotboje (EPIRB) finden, alle Segel durchchecken, die Winschen überholen, ein UKW-Funkgerät kaufen und einbauen, wegen dem Blitzeinschlag in Kenya neue Positionslampen montieren und Kabel einziehen, Seeventile neu fetten, Werkzeug entrosten, doppelte Schlauchschellen an allen Borddurchlässen anbringen und überhaupt am Verschlusszustand der Yacht arbeiten, Toilettenschläuche entkalken, Gastlandflaggen nähen und vieles mehr...

Wir fanden hier vor Ort eine Schweizer Motorenfirma. Der Luzerner René Kleiner ist als junger Mann vor 40 Jahren nach Südafrika ausgewandert. Generalüberholungen von Dieselmotoren aller Marken ist sein Hauptgeschäft. Wir wollen Nägel mit Köpfen machen und bauen gleichzeitig beide Antriebsmaschinen sowie den Generator aus.

Der Ausbau klappt wie am Schnürchen. Zurück bleibt eine rostige, dreckige und ölige Höhle. Ich schäme mich etwas vor den Mechanikern, denn es wirkt so, als ob ich ein Jahr lang keinen Finger im Maschinenraum gekrümmt hätte. Wenn die wüssten...

Für die Motoren reichte noch der kleine Kran auf dem Lieferwagen. Um die MON AMIE auszuwassern, muss aber ein grösserer Kran her. Leider ist der Kran des Zululand Yachtclubs vor wenigen Wochen mitsamt einem Schiff umgekippt. Yacht wie Kran haben Totalschaden erlitten. Wir müssen nun, weil wir den Hafen auf keine Art und Weise mehr wechseln können, einen Kran aus der Stadt anheuern. Trotz Kostenteilung mit einer anderen Yacht, reisst das Auswassern ein empfindliches Loch in die Bordkasse. Doch wir haben keine Wahl.
Hoch über den Wolken, im völlig falschen Element, schwebt die MON AMIE. Wir halten den Atem an. Wir haben keine Versicherung und die Kranfirmen bieten keine an. Alles geht gut. Sanft setzt uns der Kran auf unseren Trockenplatz. Auf unser Heim für die nächsten paar Monate.

Das Teakdeck ist auf eine Sperrzolzunterlage geschraubt, welche durch das Stahldeck gebolzt ist. Wir drehen 2500 Schrauben aus den Teakplanken und stossen auf 180 Löcher im Deck. Wir überlegen uns, wie wir diese Löcher definitiv stopfen können, ohne aber schweissen zu müssen. Denn um von aussen auf dem Deck schweissen zu können, müssten wir die entflammbare Isolation im Schiffsinnern entfernen und so die ganze Decke im Schiff abbauen. Da der Innenausbau im nachhinein gefertigt worden ist, müssten wir auch einige Schränke, und somit schlussendlich das halbe Schiff, ausbauen.

Wir erwägen Schrauben, Gewindestangen, Metallepoxy, doch nichts erscheint als so saubere und zeitlose Lösung wie Schweissen. Christa hat im Gegensatz zu mir den Mut einfach einmal innen anzufangen. Sie arbeitet einen Nachmittag lang wie wild und schon sieht unsere Bugkabine aus wie eine Baustelle! Doch wir merken damit auch, dass es gar nicht so unmöglich ist, wie es auf den ersten Blick wirkt, die ganze Decke samt Isolation herunterzunehmen. Also los, tun wir es, tun wir es richtig! Wir entdecken unter der Isolation eine tadellose Stahldecke ohne Rost. Neu wie beim Stapellauf!
Die MON AMIE wird zur Grossbaustelle. Die Teaklatten kommen noch einigermassen einfach weg, doch das Sperrholz ist, abgesehen von den Bolzen, zäh verklebt. Schweisstreibende Arbeit. Tagelang.

Für kurze Zeit mieten wir sogar einen lokalen Arbeiter an. Die Lohnkosten sind in Afrika derart niedrig, dass selbst wir Weltumsegler es uns leisten können. Doch als Europäer tun wir uns mental auch etwas schwer damit. Unser schwarzer Arbeiter, sein Name ist Good Hope, ist derart unterbezahlt, dass er nur mit Mühe über die Runden kommen kann. Er lebt zwar auf einem ganz anderen Level als weisse Südafrikaner, oder wir, aber mit nur 40 Euros Wochenlohn ist es für ihn sehr hart.

Immer wieder begegnen wir in Afrika dieser Problematik. Nennen wir es einmal moderne Sklaverei. Seit wenigen Jahren ist zwar das Appartheidsystem abgeschafft, doch hat sich für die schwarze Bevölkerung das Leben in vielem nicht zum positiven gewendet. Sie sind zwar frei, und dies ist zweifellos auch sicher der grösste Segen, doch sind sie jetzt auch auf sich alleine gestellt. Alleine auf dem Arbeitsmarkt und meist ungelernt.
Doch auch für die weissen Südafrikaner ist der Wechsel erst am Anfang und nicht immer einfach. Es ist alles noch so frisch. Was ihnen jahrzehntelang eingetrichtert wurde ist plötzlich nicht mehr so, sondern ganz anders. Am besten haben es wohl die ganz jungen Leute, die das alte System der Rassentrennung noch nicht kannten. Doch viele weisse, gut ausgebildete Südafrikanerinnen und Südafrikaner stehen vor neuen Problemen. Sie kämpfen mit sinkendem Bildungsniveau, sinkenden Löhnen, sinkender internationaler Wettbewerbsfähigkeit und verlassen dadurch schlussendlich Südafrika, was das Land wirtschaftlich wiederum schwächt. Doch Afrika ist ein schwarzer Kontinent, und jeder Wechsel bringt seine Probleme mit sich und braucht seine Zeit. Wir hoffen, dass Südafrika seinen Weg finden wird.

Wir nehmen an der ersten Stelle Sperrholz weg. Das Stahldeck kommt zum Vorschein. Wir sind erst sehr geschockt, denn das Deck sieht fürchterlich rostig aus. Bei genauerem Hinsehen ist der Rost aber (noch) nicht der Rede wert. Keinerlei Schäden. Wohl aber der richtige Zeitpunkt um die beginnende Rosterei gleich zu unterbinden.

Vor das Malen hat Gott leider das Schleifen gesetzt. Um einen neuwertigen Farbaufbau zu erlangen, schleifen wir das Deck runter auf den blanken Stahl. Der 'Grinder' ist eine Höllenmaschine. Ein ziemlich gefährliches Werkzeug. Die Umdrehungen sind sehr hoch und der Schleifaufsatz messerscharf. Doch man gewöhnt sich an alles!

Sperrholz weg, Löcher zuschweissen, schleifen, grundieren. Immer und immer wieder. Wenn uns Mani der Schweisser jeweils die Löcher auf dem Deck zuschweisst, haben wir danach im Schiffsinnern viel zu tun. Der Stahl wird innen glühendheiss und muss gekühlt werden. Wird in der Nähe der Decksluken geschweisst, steht man mitten im Funkenregen. Wir müssen sehr aufpassen, dass das Schiffsinnere nicht leidet. Meist kommt Mani, weise wie er ist, erst am späteren Nachmittag, wenn es nicht mehr 35°C heiss ist. Für uns heisst das dann aber anschliessend sofort die Schweissspuren von innen abschleifen und noch am selben Abend die Grundierung auftragen. Denn gerade innen darf sich kein Rost ansetzen. Wir arbeiten dabei oft bis gegen Mitternacht. Da braucht es viel Humor, um die Freude am Schiff nicht zu verlieren!

Mittendrin feiern wir meinen 30. Geburtstag. Wir hauen drei Tage ab und gehen mit unserem gekauften Fiat Uno auf Safari! Wir besuchen den ältesten Game-Park in Afrika, den Umfolozi/Hluhluwe Nationalpark. Wir sind begeistert von der Landschaft und vor allem von den Nashörnern, welche wir in Ostafrika nie sehen konnten. Mitten im Busch feiern wir mit einer Flasche Champagner Geburtstag und lauschen nachts in die Savanne, den wilden Tieren und ihren Geräuschen!

Ich verbringe viel Zeit mit der Ruderkonstruktion und zeichne Pläne für die neuen Ruder. Es stellt sich lange Zeit die Frage, ob wir normalen Schiffbaustahl oder rostfreien Stahl für die Ruderschafte nehmen sollen. Der Voreigner faxt uns aus Deutschland die originalen Konstruktionspläne. Wir entscheiden uns für Schiffbaustahl hoher Qualität. Wir denken über Verstärkungen und Verbesserungen nach. Schlussendlich zeichne ich die Ruderblätter zwanzig Prozent kleiner, was den Druck auf den Schaft um zwanzig Prozent verringert. Dazu zeichne ich als Hauptverbesserung für beide Ruder stabile Skegs. Bei der eigentlichen Schweisskonstruktion halten wir uns an die Originalvorgaben. Viel Denkarbeit und Kommunikation ist dazu nötig. Wir nehmen auch jedes Schiff auf der Werft unter die Lupe und wälzen uns durch Yachtbücher. Nach dem Zeichnen kaufen wir das Material und los geht es. Ich kriege dabei sogar einen Schweisskurs. Ich würde aber eigentlich lieber an fremdem Material üben als an unseren Rudern!

Mitten im Arbeitsdreck kommt die heissersehnte Verstärkung aus der Schweiz! Mein Vater kommt uns für einen ganzen Monat zu Hilfe. Zu dritt geht es gleich ganz anders voran! Da ich viel Zeit verbringe mit organisieren, arbeiten zeitgleich trotzdem zwei Personen am Schiff.

Dazu fällt meines Vaters Besuch genau in den Beginn der Malarbeiten. Das passt hervorragend, denn er malt auch zu Hause viel, und gut! Wir malen das Deck zum zweiten Mal mit der Grundierung und bestaunen darauf eine schon sehr vielversprechend anzusehende Decksfläche.

Aber der ganz tolle optische Effekt wird erst mit dem ersten und zweiten Anstrich in weiss kommen. Doch was für ein Unterschied. Wenige Wochen vorher war das Deck noch voll mit Holz, und Leckstellen! Weil der Mast leider auf das Teak gebolzt ist, müssen wir auch den noch herunter nehmen. Doch auch diese Hürde nehmen wir noch.

Vor dem Malen steht aber nicht nur das Schleifen, sondern auch sonst noch unendlich viel Malvorbereitung wie Säuren, Abwaschen, Abkleben, Spachteln und so weiter und so fort.

Damit mein Vater von Südafrika aber nicht nur die Werft von Richards Bay sieht, haben Christa und ich schon im voraus eine viertägige Safari für uns drei geplant. Wir verbringen dann auch ganz tolle Tage, sehen viele Tiere und geniessen die Gemeinsamkeit. Zusammen frei zu haben ist doch noch schöner als zusammen zu arbeiten!



Doch die Zeit vergeht wie im Flug und schon bald sind mein Vater und ich wieder auf dem Weg zum Flughafen und es heisst Abschied nehmen. Doch zu Hause warten Frau, Familie und Grosskinder, und natürlich die Festtage!


 
 
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