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 Von Null auf Hundert

Durban, Südafrika

Endlich sind wir wieder auf dem Meer unterwegs! Ein ganzes Jahr harter Arbeit haben wir hinter uns. Doch obwohl wir erst seit ein paar Stunden unter Segeln sind, liegt Richards Bay schon weit zurück.
Der Wind pfeift mit sieben Windstärken, und wir haben alle Hände voll zu tun. Wir machen im Agulhasstrom zehn Knoten über Grund und fliegen Durban geradezu entgegen. Mit dem dritten Reff im Grosssegel und der Stagfock jagt die MON AMIE durch das aufgewühlte Meer. Die Sichtverhältnisse sind sehr eingeschränkt. Es ist Nacht und Neumond. Da passiert es.
Plötzlich werden wir wie von Geisterhand abgebremst! Ein Ruck geht durch das ganze Schiff und die Geschwindigkeit verringert sich innert einer Sekunde um fünf Knoten. Auf meinen ersten Gedanken: 'Wir sind auf Grund gelaufen', folgt gleich der zweite: 'Kann nicht sein, wir sind mehr als genug von der Küste weg und Untiefen sind auf der Karte keine eingezeichnet'.
Da sehen Christa und ich auch schon einen riesigen Leib an der MON AMIE entlang schrammen und unter die Wasseroberfläche sinken. Das Meer brodelt und schäumt und der Wal versucht hektisch abzutauchen. Er ist etwa gleich lang wie unser Schiff. Ich rufe Christa zu sich gut festzuhalten, und kralle mich selbst am Cockpitdach fest, denn falls wir in eine ganze Walschule geraten sind, könnten wir uns bei einem erneuten Zusammenstoss schlimme Sturzverletzungen zuziehen. Doch wir sehen zum Glück keinen weiteren dieser Meeressäuger. Wir sind eher verwirrt als geschockt, denn die Seekrankheit unter der wir überraschenderweise leiden, trägt schon ihren Teil zur seelischen Gleichgültigkeit bei. Verwirrt sind wir deshalb, weil so ein Ereignis doch einfach in die Bücher und Erzählungen anderer gehört und da auch bleiben sollte, aber doch bitte nicht plötzlich in unserer eigenen Realität vorkommen!
Doch der Gestank vom Blasen des Wals ist so echt wie der Wal und der Ruck durch das Schiff selbst. Zum Glück ist unsere MON AMIE aus Stahl gebaut. Die Kollisionssicherheit eines Stahlrumpfes war bis zum heutigen Tag nur ein theoretisches Argument für unseren Wunsch nach einem Metallboot. Gerade eben hat es uns wahrscheinlich das Schiff und vielleicht sogar das Leben gerettet.
Wie dem auch sei, unser Gefühl sagt uns sicher, dass der Rumpf unversehrt ist, so dass wir noch nicht einmal den Niedergang runterstürzen um nachzusehen ob wir einen Wassereinbruch haben.
Nach zwölf Monaten 'trockengelegt' sind die ersten hundert Seemeilen für uns gewiss reich genug an Ereignissen. Stürmischer Wind, der Agulhasstrom der die Navigation erschwert, Seekrankheit, der Druck der ersten Testfahrt, die Kollision mit einem Wal – es geht mal wieder ganz schön ab. Von null auf hundert!

Das letzte Jahr war für uns ein sehr strenges Jahr. Die Arbeiten am Schiff waren hart und sehr zeitaufwendig. Und wir wollten es gut machen, um in Zukunft mehr Ruhe vor grossen Schäden zu haben. Monatelang folgte auf eine Siebentagewoche die nächste. Mittendrin erschien uns die ganze Plackerei manchmal sinnlos oder gar idiotisch. Doch im Nachhinein war der Volleinsatz wahrscheinlich der einzige Weg, das riesige Pensum innert einigermassen nützlicher Frist bewältigen zu können. Ohne dabei die Motivation oder gar den Mut zu verlieren.

Neben dem enormen Profitieren im bootsbauerischen Bereich, war es auch eine einzigartige Erfahrung für uns, ein volles Jahr lang in einem fremden Land zu leben. Nicht als Tourist zu reisen oder gar Urlaub zu machen, sondern wie die Menschen von hier zu arbeiten und unser tägliches Leben mit allem was dazugehört zu bestreiten. Wir sahen nicht nur an die fremden Facetten des Landes heran, sondern waren ein Teil davon. Arbeiten, Teile besorgen, einkaufen, Bank, Post, Routine, Zahnarzt, Krankenhaus, Mittwochabends 'happy hour', soziale Freuden und Verpflichtungen, eigenes Auto, immer wieder Visum verlängern, Wäsche waschen, (Steg-) Nachbarn.
Wir haben zwar nicht die Touristenattraktionen von Südafrika gesehen, dafür hinter die Kulissen der Menschen von hier. Fremde Länder fremde Sitten. Wie die Weissen leben, wie die Schwarzen leben, warum für die meisten Weissen alle Schwarze Kriminelle sind und warum für viele Schwarze sich die meisten Weissen kriminell verhalten, mit wem sich die Inder abgeben, weil sie als Farbige irgendwo dazwischen stehen, aber auch wie man sich im Land der Zulus verhalten muss wenn plötzlich ein Hippo vor einem steht, warum Zebras und Gnus in Symbiose leben oder wie Krokodilfleisch schmeckt.
Man reflektiert automatisch seinen eigenen Lebensstil und die eigene Herkunft. Und vielleicht lernen wir auch aus der Ferne die gute alte Schweiz neu schätzen und erzählen unseren neu gewonnenen Freunden hier auch mal nicht ohne Stolz, dass es bei uns zu Hause ein Antirassismusgesetz gibt...

Zwischen dem Einwassern und dem definitiven, auslaufbereiten Zustand der MON AMIE, standen nochmals richtig viele Dinge auf unserer Arbeitsliste. Deckshaus und Cockpit waren noch nicht fertiggemalt, auf dem ganzen Deck fehlte noch der Antirutsch-Anstrich, ein grosser Teil der Decke im Schiffsinnern war noch nicht wieder montiert, die Solarpanele waren nicht befestigt und vieles mehr. Wir freuten uns deshalb doppelt auf den Besuch von Christas Schwester Bea. Nachdem sie ein Jahr zuvor in Tansania, Sansibar und Kenya mit uns gesegelt ist, kam sie jetzt zu uns nach Südafrika, um uns im Beenden der ganzen Revision zu unterstützen. Sie kam voller Elan und so ging es zu dritt gleich mindestens doppelt so schnell voran. Und die beiden Schwestern hatten trotz der vielen Arbeit, beim Malen etwa, ausgiebig Zeit zu tratschen und zu klatschen...!

Wenn auch das ultimative Auslaufen noch nicht in greifbarer Nähe lag, kam Bea doch immerhin in den Genuss unserer ersten kleinen Segeltour vor dem Hafen von Richards Bay.
Es war wunderschön die MON AMIE wieder in Bewegung zu erleben. Die neue tolle Genua, Motoren die funktionieren, Ruder zum steuern, das schöne weisse Deck... fast der ganze Staub vom letzten Jahr fiel an diesem Nachmittag von uns ab!

Wir hätten dann gerne einen etwas ruhigeren Start gehabt. Etwas mehr Zeit zum beschaulichen Abschied von Richards Bay und etwas mehr Harmonie für den ersten Schlag nach zwölf Monaten. Doch hier an der rauen Küste von Südafrika kann man sich das Wetter schlecht aussuchen. Entweder bläst es richtiggehend aus Nordost oder es stürmt aus Südwest. Flauten sind selten, einigermassen normale Segelbedingungen auch. Wenn der Wind also aus der günstigen Richtung weht, muss man raus, auch wenn es stürmisch zu und her geht, sonst kommt man als Segelyacht nie um das Kap der Guten Hoffnung.
Wir sind sehr angespannt, ist es doch der erste Test für die MON AMIE nach einem Jahr Überholung und nur wenigen Tagesfahrten vor dem Hafen. Und es wird wahrlich gleich ein Härtetest. Kaum haben wir aufgehört zurückzuwinken, kommen uns in der Hafeneinfahrt Brecher entgegen. Eilig binden wir zwei Reffs ins Gross und pflügen unter Maschine Richtung offenes Meer. Als ich per Funk bei der Port Control die Erlaubnis einhole den Hafen verlassen zu dürfen, wünscht mir der Offizier noch 'viel Spass'. Der hat gut reden in seinem weichen trockenen Sessel!
Von den letzten beiden Yachten die in Richards Bay ankamen, lief eine ohne Mast ein und die andere hatte bei Nacht und Sturm die Hafeneinfahrt verpasst und lag bis zu ihrer Bergung eine Woche auf dem Strand. Man darf sich hier also keine Fehler erlauben.

Wie geplant segelten wir pünktlich zur Dämmerung aus der riesigen Tankerreede heraus und konnten auf Kurs Durban gehen.
Nachdem sich Christa zwei Stunden hingelegt hatte, mussten wir noch vor Mitternacht das dritte Reff einbinden, weil die MON AMIE etwas luvgierig wurde im zunehmenden Wind. Ich bat Christa, sich doch noch mal unten an der Wärme hinzulegen, und sagte, dass wir wohl in etwa einer Stunde halsen müssten. Ganz spontan entschieden wir uns dann gleich zu halsen.
Als ich danach die Halse auf der Karte eintrug und den neuen Kurs über Grund sah, gefror mir richtiggehend das Blut in den Adern. Der Kurs führte an Durban vorbei! Das konnte doch nicht wahr sein! Das durfte doch nicht wahr sein, verdammt! Die einzige Chance war anzuluven. Doch würde der Wind von den aktuellen 7-8 Windstärken noch weiter zunehmen, wäre das schon bald gar nicht mehr möglich und wir würden Durban verpassen. Doch für die fast 300 Meilen bis zum nächsten Hafen wäre keine Zeit vor dem nächsten Tief...
Während der nächsten Stunde, bis ich mit immer mehr anluven realisierte, dass wir Durban schaffen werden, ging es mir sehr schlecht. Obwohl es kalt war, liess mich die Angst und Unsicherheit schwitzen.
Der Agulhasstrom setzt hier an der Küste südwestwärts mit bis zu 4 Knoten Stärke. Es war mein eigener Fehler gewesen, fast zu spät gehalst zu haben. Ich hatte nicht realisiert, wie enorm starker Schiebestrom den Halsewinkel über Grund verkleinern kann! Dazu kam noch, dass wir die letzte Stunde vor dem dritten Reff durch die Luvgierigkeit etwas hoch abliefen und uns so von der Küste entfernten, wo die Strömung noch zunahm.
Nach zwei Stunden am Wind, segelten wir jedenfalls merklich aus dem Agulhasstrom heraus Richtung Küste und der Schreck war ausgestanden. Zögerlich begann ich wieder abzufallen. Puh!

Doch es gab auf diesem Törn auch ein paar schöne Momente, wo uns die MON AMIE beeindruckte wie sie auf Halbwindkurs unter Fock und dreifach gerefftem Gross mit 8 Knoten unbeirrbar durch die wilde See preschte. Der Windpilot steuerte sauber, und wenn der Lichtschein unserer Taschenlampen von dem weissen nassen Deck reflektiert wurden, realisierten wir erst unsere Revision in ihrer ganzen Grösse!

Es ist schön, wieder unterwegs zu sein, und wir fühlen uns wieder als Segler und nicht mehr ausschliesslich als Arbeiter. Wir schlendern durch Durban, schlafen viel, werkeln hier und da etwas am Schiff und warten im Moment mit viel Geduld und Musse auf das nächste stabile Wetterfenster, um weiter südwärts zu segeln.

 

 
 
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