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Hart
am Wind
Kenya –
Südafrika
Es ist Sonntagnachmittag.
Das Wetter ist frühlingshaft launisch, regnerisch, kühl, windig.
Ein Dutzend Leute des Zululand Yachtclubs in Richards Bay, Südafrika,
stehen am Kai und nehmen uns hilfsbereit die Leinen entgegen. Wir sehen
in fremde Gesichter und ernten mitfühlende Blicke. Kurz darauf sind
die Leinen fest, wir sind angekommen. Ich nehme Christa in die Arme und
wir schauen uns in die Augen. Da wird mir plötzlich bewusst, woher
das Mitleid der Zuschauer kommt. Wir alle drei, Christa, MON AMIE und
ich, sehen etwas abgekämpft aus. Stiefel, schweres Ölzeug, Rettungswesten,
Augenringe, Vierwochenbart, zerfetzte Rollgenua, Rostflecken am Freibord,
signalrote Sturmfock am Bug. 2500 Seemeilen nonstop. 26 Tage Segeln gegen
den Wind und meist auch gegen die Strömung, sowie zwei starke Stürme,
hinterlassen Spuren.
Der Empfang ist umso herzlicher. In Richards Bay, der letzten Station
vor dem Beginn des Kap der Guten Hoffnungen, ist man an harte Trips und
rauhe Bedingungen gewohnt. Alle Yachten die einlaufen kommen von weit
her. Man überreicht uns eine eiskalte Flasche Champagner sowie den
Schlüssel zu den geheizten Duschen und teilt uns mit, wo Clubbar
und Restaurant sind. Das ist auch in genau dieser Reihenfolge das einzige
was uns im Moment interessiert.
Der Champagner schmeckt toll und die Dusche ist einzigartig, genauso wie
das Steak und das kalte Bier. So einzigartig eben, wie es nur sein kann,
wenn man es lang genug entbehrt hat. Müde und glücklich fallen
wir schliesslich in unsere stinkende Koje und in einen langen tiefen Schlaf.
Schauplatz
Kenya, im Maschinenraum der MON AMIE. Wir leiden einmal mehr unter den
Nachwehen unserer 'Spitzenmechaniker' in Djibouti. Dieses Mal ist es besonders
schlimm. Unter mässiger Fahrt im Inselreich zwischen Kenya und Tanzania,
hören wir plötzlich ohrenbetäubenden Lärm vom Backbordmotor.
Wir stoppen die Maschine sofort. Doch es ist zu spät. Die Kurbelwelle
ist lose gekommen und hat ein Loch in den Motorblock geschlagen.
Wir stehen sozusagen vor einem Scherbenhaufen. Ein schwerer Schlag für
uns. Doch in Sachen Krisenbewältigung sind wir durch die eineinhalb
Jahre unserer bisherigen Reise gut trainiert. Die vielen Abenteuer haben
uns stärker gemacht. Wir sind enttäuscht aber nicht verzweifelt.
Da es mit dem Vertrauen in die verbleibende Steuerbordmaschine auch nicht
weit her ist, bleibt uns nun kaum noch die halbe Motorenleistung. Das
schränkt sehr ein, vorallem bei Riffdurchfahrten und den in Ostafrika
herrschenden, starken Meeresströmungen.
Vor kurzem wurde die MON AMIE zu allem Übel auch noch vom Blitz getroffen,
der uns UKW-Antenne, Verklicker und sämtliche Positionslampen vom
Mast wegrasiert hat. Die Regenzeit in Kenya hat zudem unserem Teakdeck
ganz schön zugesetzt, welches an immer mehr Stellen zu lecken beginnt.
Alles in allem sind wir also reif für eine Überholung, denn
es liegen mittlerweile immerhin über 12'000 Seemeilen hinter uns.
Westwärts gesegelt, wären wir in Fidschi!
Wir sehen
für uns drei Möglichkeiten: Erstens, den Motorenschaden in Kenya
beheben. Zweitens, die MON AMIE auf ein Cargo verladen Richtung Südafrika
oder gar Europa. Drittens, aus eigener Kraft nach Südafrika segeln.
Wir erhoffen
uns in Südafrika einigermassen europäische Verhältnisse,
also eine gewisse Ebene an Infrastruktur und somit Auswahl an Teilen und
Know-how.
Eine weitere Motorenreparatur in der Dritten Welt macht uns Angst. Das
würde wieder viel Geld kosten mit Ersatzteilen einfliegen lassen,
zerrte wahnsinnig an den Nerven und das Resultat würde vielleicht
doch nur vorübergehend funktionieren. Aus den gleichen Gründen
versetzt uns auch die Vorstellung in Panik, die MON AMIE in den Slum-Hafenanlagen
von Mombasa an irgendeinem rostigen Haken hoch über dem Boden schweben
zu sehen!
Also lieber
selber segeln. Wir studieren die Monatskarten und Fahrtenbücher.
Es gilt über 2000 Seemeilen zu segeln. Da wir uns quasi als motorlos
bezeichnen müssen, werden wir kaum Stops machen. Die Küsten
Tansanias und vorallem Moçambiques sind nur mässig kartographiert,
die Gezeitenströmungen sind erheblich und Seezeichen sind kaum vorhanden.
Zudem sind die Küsten flach und die Ansteuerungen dadurch viele Meilen
lang. In diesen Bedingungen stets Angst zu haben, plötzlich ganz
ohne Motor dazustehen, wirkt nicht gerade einladend. Und wir sind keine
Regattayacht, wo man sich mit gewagten Manövern unter Segeln die
Zeit vertreiben kann. Wir haben nur vier Hände und die MON AMIE ist
unser ein und alles. Da ist es viel sicherer und für uns beruhigender,
die Fahrt nonstop anzugehen.
Das Kartenstudium ergibt folgende ernüchternde Bilanz: der Wind wird
an neun von zehn Tagen von vorne wehen. Während des ersten Drittels
der Reise wird die Ostafrikanische Küstenströmung mit 3 Knoten
gegen uns stehen. Im zweiten Drittel dagegen sollte uns die Moçambiqueströmung
mit 1-2 Knoten schieben. Im letzten Drittel werden wir die Monsunregion
und die Tropen allmählich verlassen und in das Gebiet der Westwinde,
der Kaltfronten und des Agulhasstromes kommen.
Es stehen viele Fragezeichen im Raum. Das grösste ist: werden wir
überhaupt fähig sein mit Gegenwind und drei Knoten Gegenströmung
unter Segel noch voranzukommen? Und zwar hunderte von Seemeilen weit?
Bis
zum Auslaufen liegen wir vor unserem geliebten Wasini-Island bei unseren
Freunden noch ein paar Wochen vor Anker.
So lange, bis die Sturmhäufigkeit im winterlichen Südindischen
Ozean auf ein verantwortbares Mass abnimmt. Wir bereiten die MON AMIE
so gut wie möglich vor und spannen aus. Wir tanken Kraft für
den bevorstehenden Schlag. Wir setzen den Auslauftermin zeitgleich zum
Ablauf unserer Visa fest. Der Abend davor wird gleichzeitig zur Geburtstagsparty
unseres Freundes und zu unserer Abschiedsfeier. Trotz aller guten Vorsätze,
die Party sachte anzugehen, um dann anderntags fit auslaufen zu können,
wird der Abend zu einem seemannstypischen Landgang mit Blessuren. Eine
Party, die sich gewaschen hat, mit vielen Freunden, viel Musik, viel gutem
Essen, vielen Drinks, viel Tanzen! Die gemeinsamen Erlebnisse der letzten
Monate leben auf und die Angst vor der bevorstehenden Fahrt sowie der
Abschiedsschmerz werden weggeschwemmt.
Mit hämmerndem Schädel erwache ich am nächsten Morgen auf
der MON AMIE und habe keinen Schimmer wie ich eigentlich zurückgekommen
bin. Dazu sind meine Beine blutig von Korallen zerkratzt. Auslaufen ist
wohl keine so gute Idee, denn als letzte Arbeit muss noch das Ersatzgenuafall
eingezogen werden. Nur ist mir gar nicht nach Kletterpartien den Mast
hinauf. Ich gehe auf die Behördenbüros und tische eine rührende
Geschichte auf, worauf wir selbstverständlich, auch ohne Visum, noch
einen Tag bleiben dürfen!
Das beste daran: wir haben dann noch einen gemütlichen und gesitteten
Abend auf der Insel, nur im kleinen Kreis, und nehmen noch entgültig
Abschied. Wann und wo werden wir uns wiedersehen?
Am nächsten Tag geht es los. Wir tuten ins Nebelhorn und segeln ohne
Motor direkt vom Ankerplatz weg. Wir winken noch lange. Der
Beginn der Fahrt ist ruhig aber auch sehr langsam. Die Strömungen
sind noch stärker als befürchtet, und die Lage nach einer Woche
sieht nicht sehr berauschend aus. 765 Seemeilen durchs Wasser, 535 Seemeilen
über Grund, und nur etwa 150 Seemeilen Richtung Ziel geschafft. Das
entspricht einem effektiven Durchschnitt pro Tag von 22 Seemeilen, nun
ja.
Wichtiger: Crew und Schiff sind fit. Wir segeln weiter. Wir studieren
abermals die Karten, wagen einen zweitägigen Schlag direkt von der
Küste weg und werden langfristig damit belohnt.
Wir müssen permanent das Grosssegel ein- und ausreffen. Hart am Wind
macht eine Windstärke mehr oder weniger bezüglich Segeldruck
viel aus. Es ist aber ein gutes Gefühl, aktiv zu sein und die Segelfläche
stets anzupassen. Tag und Nacht. So steuert die Windfahne perfekter, wir
sind schneller, und die MON AMIE segelt ohne Überbelastungen. Seriöse
Seemannschaft.
Weil hart am Wind meistens der langsamste aller Segelkurse ist, sind die
Etmale mager. Können wir normalerweise mit 100 Seemeilen als Durchschnittsetmal
rechnen, machen wir jetzt nur zwischen 50 und 80 Seemeilen. Effektiv gegen
das Ziel aber oft nur die Hälfte davon! Doch damit müssen wir
uns abfinden.
Dann nimmt der Wind erstmals etwas mehr zu, bis auf sieben Windstärken.
Hart am Wind bläst das ganz schön. Wir setzen das dritte Reff,
rollen die Genua weg und setzen die Fock. So segeln wir dann ruppig drei
Tage lang, schlafen relativ schlecht und sind aber schliesslich nach zehn
Tagen am Kap Delgado, dem ersten Meilenstein. Der Grossteil der Gegenströmungsstrecke
ist geschafft, ein Fünftel der insgesamten Fahrt. Doch ab jetzt sollen
die Etmale Richtung Ziel durch Wegfall der Gegenströmung zunehmen.
Das nächste Etmal liegt dann auch schon bei 110 Seemeilen. Kurs Ziel.
Wir kommen endlich voran.
Am nächsten Tag bricht das Genuafall. Kurze Hektik, bis das Segel
wieder am Ersatzfall oben ist. An diesem Fall übrigens, welches wir
am Tag nach dem Tag nach der Party dann doch noch eingezogen haben.
Nach 2 Wochen
feiern wir Bergfest. Die Hälfte ist geschafft! Alle fünf Tage
lassen wir den verbliebenen Motor drei Stunden laufen um die Batterien
zu laden. Es ist jedes Mal eine Zitterpartie ob er anspringt oder nicht.
Wir können es uns leisten so selten zu laden, denn wir brauchen ja
kaum Strom. Nur etwas Licht beim Aufstehen und ins Bett gehen sowie für
die Logbucheinträge und die Kartenarbeit. Dazu GPS und Log und ab
und zu kurz die Wasserpumpe. Sämtliche Positionslichter gehen seit
dem Blitzeinschlag nicht mehr, der Cd-Player ist ausgebaut, Funkgerät
haben wir keines mehr, die Windfahne ist mechanisch...
Der Wegfall der Positionslampen lässt uns äusserst seriös
Wache gehen! Es schlummert immer die Befürchtung in einem, plötzlich
ungesehen überfahren zu werden. Und auf das Radar der grossen Dampfer
wollen wir uns nicht verlassen, aber das ist ja nicht neu. Ironischerweise
sichten wir zum ersten Mal auf unserer Fahrt seit Holland ein paar Nächte
in Folge überhaupt keine anderen Schiffe. Die Küste Südostafrikas
wird also auch von der Berufsschifffahrt wenig befahren. Wegen dem Suezkanal
geht fast der ganze Handelsverkehr zwischen Nah- und Fernost und Europa
im Norden durch. Das haben wir ja damals erlebt. Trotzdem bleiben wir
wachsam und sehen die Nachtwachen als Job an, Ausguck zu halten.
Plötzlich
beginnt das Barometer zu steigen. Wir scheinen in das Südindische
Hochdruckgebiet hinein zu segeln. Und prompt: ein paar Stunden später
haben wir Nordostwind. Hurra! Nach 17 Tagen Krängung und hart am
Wind, segeln wir Vorwindkurs und baumen die Genau aus!
Aus dem Logbuch: ...kriegen mit unserem Weltradio noch immer keinen
Wetterbericht rein. Habe Frequenzen, Zeitverschiebung und alles schon
x-mal kontrolliert. Auch die Gebrauchsanweisung vom Gerät rückwärts
und vorwärts gelesen. Verstehe nicht warum es nicht geht. Kann nicht
sein, dass wir noch zu weit weg sind, ist ja Kurzwelle. Hat doch in der
Biskaya und im Mittelmeer auch funktioniert?!...
Wir befürchten langsam, dass wir bis am Ende keinen Wetterbericht
kriegen werden, und schwören uns, in Südafrika einen modernen
Kurzwellenempfänger mit Antenne und Computerzugang zu kaufen. Dann
kriegen wir auch per Laptop Wetterfaxkarten aufs Schiff. Die Software
haben wir von einem Segelkameraden gratis gekriegt. Wieso haben wir das
nicht schon längst gemacht? Ich bin schliesslich Meteorologe. Wir
meinen irgendwie immer, wir könnten wie in den 70er Jahren 'mit nichts'
segeln. Wir sind grundsätzlich nicht der Ansicht, dass man sich mit
allem modernen Elektronikkram eindecken muss. Doch wir fühlen uns
nun in diesem meteorologisch komplexen Gebiet doch etwas gar rudimentär
ausgerüstet. Christa ist sauer, sie findet uns leichtsinnig. Sie
hat nicht unrecht. Wir sind zu angeschlagen für dieses schwierige
Seerevier: kaum halbe Motorkraft, alte Rollgenua, nur auf einem Bug reffbar,
kein Ersatzfall mehr, keine Positionslichter, kein Funkgerät, kein
Wetterbericht...
Wir
kommen jetzt langsam in den Einflussbereich der Kaltfronten. Da wir nur
noch ein kleines Funkhandgerät haben, ist unsere Reichweite sehr
gering, und so mancher Tanker zieht am Horizont vorbei ohne uns zu hören.
Nach 20 Tagen aber haben wir zum ersten Mal Funkkontakt mit einem Frachtschiff.
Ein netter Offizier gibt uns einen klaren und für uns guten, ungefährlichen
Wetterbericht. Nordost bis Südost, 3-4 Windstärken. Wir fühlen
uns sehr beruhigt nach diesem Wetterbericht.
Acht Stunden später kommt am Horizont eine schwarze Wand auf uns
zu.
Das Barometer zeigt nur Tagesgang an, so machen wir uns keine grossen
Sorgen. Es kann eigentlich nur eine Gewitterfront sein, denn der Wetterbericht
hat ja keinerlei Fronten gemeldet. Wir versuchen die düstere Wolkenformation
zu umsegeln, doch sie kreist uns ein. Wir überlegen, ob wir die Sturmfock
setzen sollen, entscheiden uns dann aber die Genua halb einzurollen. So
könnten wir, wenn die Böen allzu stark würden, das Vorsegel
einfach ganz wegrollen. Im Gross sind zwei Reffs sauber eingebunden. Mit
den ersten Böen nimmt die MON AMIE rasch Fahrt auf. Soweit alles
klar.
Plötzlich
hören wir von hinten kommend ein Rauschen wie von einem Wasserfall.
Ich schaue ins Kielwasser und bin wie erstarrt. Ein weisser Teppich fliegenden
Wassers kommt auf uns zu!
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„Die Genua muss weg!“ Und schon fällt die Bö ein.
Wir können das Vorsegel gerade noch rechtzeitig einrollen. Doch weil
das Segel alt und sehr dünn ist, rollt es wieder einmal nicht ganz
sauber ein. Ein kleiner Sack, nur so gross wie ein Fussball, bleibt halb
hoch stehen. Wütend fetzt der Wind hinein. Es besteht keine Chance
nochmals ein wenig auszurollen. Die Genua würde den Mast wohl glatt
runterreissen. Die Windstärke ist enorm. „Das Gross muss runter“!
Ich springe aufs Vordeck und halte einen Moment inne, halb in Faszination
und halb in nackter Angst ob der Wucht dieses Windes. Es ist, wie wenn man
auf der Autobahn in voller Fahrt auf die Motorhaube kriechen müsste!
Doch unsere MON AMIE ist recht breit. Ich fühle mich sicher. Ich schmeisse
das Fall los und reisse das Segel herunter. Christa ist am Steuer. Ich denke
dabei: „jetzt darfst du alles, nur nicht über Bord gehen!“
Denn ohne Segel, nur mit einem Motor, Sichtweite null und diesem Wind, bestünde
keine Chance auf eine Rettung.
Konzentriert binde ich das Grosssegel mit Bändseln ein und hangle mich
mit geübten Schritten und Handgriffen zurück ins Cockpit.
Der
Seegang wird sehr schnell hoch und steil. Wir wissen nicht, wie lange der
Zirkus dauern wird. Ein paar Stunden? Bis in die Nacht? Zwei Tage lang?
Wir müssen unbedingt vor den Wind kommen, damit uns die Wellen nicht
breitseits treffen. Doch jegliches Abfallen bringt nichts.
Wir brauchen ein bisschen Segel. Das Gross? Ausgeschlossen. Viel zu viel
Tuch, selbst im 3. Reff. Die Sturmfock? Ja. Doch was sollen wir tun, wenn
die Sturmfock sich mit den Fetzen der Rollgenua verhängt? Oder die
Sturmfock die Genua sogar weiter aufdreht? Wir müssten zusehen, wie
die Genua langsam in Stücke gerissen wird und haben Angst, dass sie
unkontrolliert weiter aufgeht. Eine echte Horrorvorstellung: nicht einzurollen,
nicht zu bergen! Sie würde uns ins Wasser drücken oder den Mast
wegbrechen. Wir messen mit dem Handwindmessgerät zehn Windstärken.
Wir müssen schleunigst etwas entscheiden um abfallen zu können,
denn der Seegang wird immer höher. Wir starten den Motor. Er ist aber
zu schwach. Wir können trotz Vollgas aus Halbwind nicht auf Vorwind
abfallen, unglaublich! Hätten wir doch beide Motoren. Wir wagen es,
die Genua kontrolliert ganz wenig auszurollen. Es nützt, sofort können
wir abfallen, aber wir können sie leider nicht wieder sauber einrollen,
was zu befürchten war. Der Lärm der killenden Genua, nur eine
kleine Blase, ist ohrenbetäubend! Knatter Knatter. Wenn wir nur die
Genua unter Kontrolle hätten und vor Top und Takel ablaufen könnten...
Nach
bangen Stunden nimmt der Wind ab. Wir setzen sofort das dritte Reff und
die Fock. Das Achterliek der Genua ist zerrissen, deshalb kriegen wir die
Fock kaum an dem freien Vorstag hoch. Irgendwann gelingt es uns die Fock
zu setzen. Die Temperatur ist um über zehn Grad gefallen. Nach 16 Monaten
in den Tropen frieren wie die Hunde. Völlig durchnässt gehen wir
nacheinander runter, kontrollieren alles, ziehen die nassen Kleider aus
und trockene Kleider und schweres Ölzeug an. Die Nacht bleibt windig.
Um drei Uhr morgens haben wir wieder soviel Wind, dass wir das Grosssegel
erneut bergen müssen. Wir segeln die ganze Nacht mit der Fock sehr
schnell. Richtung Ziel.
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Am nächsten Tag können wir endlich die Genua ganz aus- und wieder
sauber einrollen. Sie ist ziemlich beschädigt. Immerhin hätten
wir sie in Südafrika sowieso ersetzen wollen, doch bis dorthin sollte
sie es noch schaffen.
Einen
Tag später funke ich mit einem russischen Tanker. Er passiert in Sichtweite,
aber er hört mich erst, als ich mit der Handfunke auf den Geräteträger
klettere. Leider hat er keinen sauberen Wetterbericht empfangen, denn seine
Antennen wurden im Sturm geknickt! Immerhin sagt er aber weder weitere Kaltfronten
noch Sturmwarnungen voraus. Ob wir das glauben sollen?
Zwei Tage später beginnt das Barometer erneut zu fallen. Wir machen
uns grosse Sorgen eine noch viel stärkere Kaltfront zu kriegen. Der
einzige Hafen weit und breit ist Inhambane in Moçambique. Die Einfahrt
wird im East African Pilot gar nicht vielversprechend beschrieben. Die Ansteuerungstonnen
sind unzuverlässig und es hat eine Sandbarre mit einer Minimaltiefe
von zwei Metern. Das ist bei unserem Tiefgang von 1.90m natürlich heikel.
Vor der Einfahrt hat es aber eine kleine Bucht, die gegen südliche
Winde geschützt ist (auf der Südhalbkugel kommen die Kaltfronten
nicht aus Nordwest sondern aus Südwest). So entscheiden wir, einfach
einmal Richtung Hafen zu segeln und, falls wir ihn vor der Front erreichen,
uns das ganze mit eigenen Augen anzusehen. Somit haben wir wenigstens einen
Plan.
16 Stunden später erreichen wir bei Tagesanbruch das besagte Revier.
Wir haben Starkwind aus Nord bis Nordost. Die Windrichtung, die normalerweise
vor einer Front herrscht. Damit wird der gegen Norden exponierte Ankerplatz
natürlich unbrauchbar. Die Angst vor einem wirklich schweren Sturm
lässt uns nahe an die Einfahrt segeln. Der geschützte Hafen lockt
und ist so nah! Doch es wäre einfach nicht zu verantworten. Wegen der
Untiefenbarre rät das Handbuch von einem Befahren ab, wenn das Meer
nicht völlig ruhig ist. Wir aber haben sechs Windstärken und drei
Meter hohe Wellen! Da wäre es schon mehr als ein Wunder diese Ansteuerung
zu schaffen, ohne die MON AMIE schwer oder sogar schwerst zu beschädigen.
Geschweige in Anbetracht unserer lausigen Motorisierung.
So wollen
wir den Sturm lieber auf der offenen See nehmen. So wie er dann halt wird.
Wir haben ein solides Schiff und gute kleine Segel. Und vorallem: wir
haben genug offenen Seeraum um vor dem Sturm abzulaufen. Wir haben keine
Wahl: Augen zu und durch!
Abends herrscht
eine unheimliche Flaute und wir werden aus der Bewölkung nicht schlau.
Die Zeichen der Windrichtung und der tiefe Barometerstand deuten klar
auf Sturm. Unser Gefühl hingegen nicht. Wir wagen es kaum, unserem
siebten Sinn zu trauen und zwingen uns, geduldig zu sein. Christa schreibt
im Logbuch: ...können in Inhambane nicht an Land, zu untief,
viele nicht gekennzeichnete Sandbänke, aber das Baro verheisst nichts
Gutes. Was sollen wir tun? Die Angst vor Sturm nagt und zermürbt
uns. Dabei könnten wir mit diesen starken zügigen Nordwinden
in 3-4 Tagen in Richardsbay sein, im sicheren Hafen! Ich wünschte
wir wären schon dort. Wenn wir nur den Wetterbericht empfangen könnten.
Gottlob haben wir Vollmondnächte, so kann man die Wolkenformationen
besser erkennen...
Am nächsten
Morgen haben wir immer noch wenig Wind. Wir beginnen zu glauben, dass
kein Sturm kommt. Noch 300 Seemeilen bis Richards Bay. Wir segeln wieder
Vorwindkurs mit der ausgebaumten Fock. Am zweitletzten Tag nochmals Flaute.
Wir müssen über 30 Stunden lang motoren. Das bedeutet für
uns nachts nie länger als zweieinhalb Stunden Schlaf am Stück
und tagsüber alle anderthalb Stunden Wechsel am Steuer. Mit dem einen
verbliebenen Motor sind wir nicht gerade schnell, kommen aber immerhin
voran. Dann frischt endlich der Wind auf. Wir können wieder segeln.
Endspurt! Wir passieren die Grenze und sind in südafrikanischen Gewässern.
Doch ohne
Vorzeichen kommt uns wieder eine dunkle Front entgegen. Wir bergen das
Grosssegel und setzen die Sturmfock. Kurz darauf bläst es mit acht
Windstärken, in den Böen noch mehr. Wir sind mit der Sturmfock
aber gut dabei und segeln schnell und stabil. Unser Windpilot steuert,
wie immer, tadellos. Doch plötzlich Chaos! Der Druck der Sturmfock
auf die eingerollte Genua versetzt allmählich deren Laschen und lässt
sie wieder aufgehen. Verdammter Stag! Wir kämpfen stundenlang bis
zur Erschöpfung, um endlich die Genua einigermassen sichern zu können.
Die Fahrt zehrt langsam an der Substanz.
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Kurz darauf sind wir wieder in einem Windloch. Wir motoren. Diesel haben
wir ja noch mehr als genug. Doch schon nach ein paar Stunden ertönt
der Temperaturalarm! Wir müssen die Maschine stoppen. Impeller, Kühlwasseraustritt,
Keilriemen, inneres Kühlwasser, Seewasserfilter sind schnell kontrolliert.
Alles okay. Den Wärmetauscher haben wir in Kenya noch ausgebaut und
gereinigt. Was kann es noch sein? Wir wissen es nicht. Was wir aber schmerzlich
wissen, ist dass unsere Mittel langsam sehr begrenzt sind. Wir können
nicht segeln, nicht motoren, nicht ankern. Und das nur 30 Seemeilen vom
Ziel entfernt.
Eine Stunde vor Sonnenaufgang kriegen wir wieder Starkwind aus Südost
und können erneut segeln. Ich stehe drei Stunden lang an der Grossschot
und trimme jede Böe wie bei einer Regatta aus und kämpfe um jeden
Meter und jedes Grad Höhe. Es scheint, dass wir es auf geradem Kurs
hoch am Wind nach Richards Bay schaffen werden. Glücklich lege ich
mich nach meiner Wache hin. In ein paar Stunden werden wir ankommen! Doch
kaum eingeschlafen, weckt mich Christa wieder. Der Wind hat nachgelassen
und die MON AMIE hat einfach selber gewendet! Das ist noch niemals passiert.
Dann
folgen die drei schlimmsten Stunden: wir versuchen mit allen erdenklichen
Mitteln das Boot auf Kurs zu bringen und zu halten, doch die MON AMIE
dreht einfach immer in den Wind! Unglaublich. Dabei haben wir ganz sicher
nicht zu viel Druck auf dem Gross. Ob wir doch die grössere Fock
setzen sollten? Doch wir kriegen sie nicht hoch, weil die zerfetzte Rollgenua
den Stag verkeilt. Jetzt können wir nicht einmal mehr ein Vorsegel
setzen!
Zu allem Überfluss erreicht der Wind wieder Sturmstärke. Die
Genua rollt wieder ein bisschen auf und beginnt fürchterlich zu schlagen.
Christa fängt auf dem Vorschiff vor Überanstrengung und Verzweiflung
an zu weinen. Die Tränen strömen.
Ich versuche sie zu trösten, habe aber auch keine guten Argumente
mehr. Wir beginnen langsam auf die Legerwallküste zu driften. Über
der felsigen Küste ballen sich dunkle Regenwolken. Das Land wirkt
schroff und abweisend. Die Situation wird gefährlich.
Wir sehen drei riesige Wale ganz schön und nah. Doch wir haben nicht
die Musse für dieses Schauspiel.
Sollen wir um Schlepphilfe verlangen? Wir sind nur noch lächerliche
neun Seemeilen vom Hafen entfernt. Das wären kaum zwei Stunden Fahrt!
Aber diese Reichweite schafft unser UKW-Handy nicht. Niemand hört
uns. Eine Stunde später läuft ein Frachter in unsere Richtung
aus. Wir funken ihn an und er übermittelt als Relaisstation unsere
Funksprüche. Doch das Unglaubliche geschieht: die Küstenwache
sagt, sie können uns leider nicht hineinschleppen, weil deren Rettungskreuzer
im Trockendock liege! Ob sie uns mit dem Hubschrauber abbergen sollen,
fragen sie. Sicher geben wir unser Schiff nicht auf, antworten wir. Sie
sollen irgendeinen Kahn schicken, wir sind ja so nah und es ist erst drei
Uhr nachmittags!
Zwei
Stunden später kommt ein superschnelles Gummiboot der Polizei angerauscht
und nimmt uns in Schlepp.
Es ist ein seltsames Gefühl, mit fremder Hilfe einlaufen zu müssen,
doch wir sind sehr erleichtert. Beim Manöver im Yachtclub hat dann
die MON AMIE noch Restfahrt und fährt genau auf die Betonpier zu!
Ich hoffe, dass die Jungs auf dem Polizeiboot die Situation erkennen,
reagieren und unseren Bug noch rechtzeitig herumziehen. Sie landen uns
sauber an. Instinktiv schlage ich dennoch unser Ruder voll ein, doch seltsamerweise
ist die Wirkung gleich null. Das Rätsel wird sich bald lösen.
Am nächsten
Tag, nach Champagner, Dusche und sechzehn Stunden Tiefschlaf, steige ich
ins kalte Wasser. Alle diese Manöverprobleme am Schluss? Warum war
die MON AMIE nicht mehr zu steuern? Irgendetwas scheint mit den Ruderblättern
nicht zu stimmen. Ob sie irgendwie blockiert sind?
Bleich tauche ich wieder auf. Christa und ich können es nicht fassen.
Beide Ruderblätter sind einfach weg! Ein Wal? Unterdimensioniert?
Elektrolyse? Wir können uns keinen Reim über den Verlust machen.
Wir werden es schon herausfinden. Wir sind froh, dass wir nicht mit eigener
Kraft, wie beabsichtigt, in den Hafen segeln konnten. Ohne Ruderblätter
hätte das eine sehr böse Überraschung geben können!
Unsere Arbeitsliste
wächst also um einen fetten Brocken an. Neue Ruderblätter müssen
geschweisst und verbessert angebracht werden. Doch wir schieben die Probleme
erstmal weg und geniessen jetzt zuerst unsere Ankunft. Es ist für
uns der erste Hafen seit über einem Jahr, denn zwischen dem Mittelmeer
und Südafrika gibt es diesbezüglich nichts! Zum ersten Mal benötigen
wir kein Dinghy um an Land zu kommen. Und wir haben Wasser- und Stromanschluss.
Wie einfach ist es, so den Wassertank aufzufüllen! Endlich können
wir wieder einmal unsere MON AMIE mit Schlauch und Süsswasser abspritzen!
Dazu das Angebot an europäischen Produkten in den gigantischen Supermärkten.
Wir schwelgen!
Hier in Richards
Bay werden wir nun bleiben und unsere MON AMIE überholen, um dann,
in frischem Glanz und topfit, das legendäre Kap der Guten Hoffnungen
in Angriff zu nehmen!
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