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Dem Teufel ein Ohr abgesegelt.

Salvador da Bahia - Fernando de Noronha - La Gomera - Porto Santo - Lagos

Wie gebannt hören wir dem Sprecher von Intermar zu. Seine Stimme klingt klar, der Empfang auf unserem kleinen Radio ist gut. Deutlich dringen seine Worte in unsere Ohren. Uns stockt der Atem und der Puls beschleunigt sich. Christa und ich schauen uns an und denken nur, dass das einfach nicht wahr sein darf!
Der Sprecher redet von schwerer Sturmwarnung für einige Gebiete im mittleren Nordatlantik. Für das uns angrenzende Seegebiet der Biskaya warnt er die Schifffahrt eindringlich vor vollem Orkan, Windstärke 12! Weiter sagt er für das Kap Sao Vincente Windstärke 10 und schliesslich für Madeira Windstärke 9-10 voraus. Wir befinden uns mit der MON AMIE im Moment genau auf dem Schnittpunkt dieser drei Vorhersagezonen. Das sind keine guten Aussichten.
Bis zu unserem Zielhafen Gibraltar sind es noch 300 Seemeilen, rund drei Tage. Das sind etwa zwei Tage zuviel, um noch vor dem Sturm einlaufen zu können. Wir fallen sofort ein paar Grad ab und ändern unseren Kurs Richtung Lagos in Portugal, die Küste, die unserem Standort am nächsten liegt. Das GPS zeigt 120 Seemeilen bis dahin an, 24 Stunden gilt es abzusegeln.
Wenn ich mir Lenny so anschaue, wie er vergnügt im Cockpit spielt, und meine Augen von ihm zum Barometer wandern, dann spüre ich eine unangenehme Angst in mir aufkommen. Das Wort Orkan dröhnt mir im Schädel. Muss jetzt noch am Schluss etwas richtig schief laufen? Müssen wir jetzt nach 22'000 Seemeilen rund Afrika noch den Sturm unseres Lebens abkriegen?

Drei Monate davor: Wir laufen in Salvador da Bahia aus. Wir haben viel Atlantik vor uns. Wahrlich, denn wir haben ihn nicht nur in seiner Breite von West nach Ost sondern auch noch in seiner Länge von Süd nach Nord vor uns. Aber was soll ich mich beklagen? Ich wollte schon immer mal eine "Transäquatorial-Transat" segeln. Den ganzen Atlantik hoch über Wendekreise und Äquator, durch die verschiedenen Windsysteme und durch die Kalmen und Rossbreiten. So richtig wie die grossen Segler deren Bücher wir immer so gerne lasen.
Christa küsst mich wie bei jedem Auslaufen, "auf eine gute Fahrt!" Dieses kleine Ritual vollziehen wir seit nun bald fünf Jahren und bis jetzt hat es immer Glück gebracht. Also wird es sicher auch dieses Mal so sein. Seit Südafrika gehört selbstverständlich auch Lenny bei der Umarmung mit dazu. Zu zweit stehen wir eng umschlungen auf dem Achterdeck mit unserem kleinen Sohn zwischen uns, die MON AMIE segelt langsam aus der Allerheiligenbucht und der Leuchtturm von Salvador zieht an Backbord vorbei.

Ein paar Stunden später geht es bereits mit gerefften Segeln bei steifem Südostpassat nordwärts. Auf Am-Wind-Kurs leckt ganz schön Wasser aufs Deck. Doch die MON AMIE zieht gemächlich ihre Spur durchs Meer und spult brav Meile um Meile ab. Unser Beruf ist Segeln, unsere Passion ist Segeln, unser Leben ist Segeln und dies ist unser Hochsee-Alltag.

Um Mitternacht kippen die Abertausenden von Lichtern der Grossstadt hinter den Horizont und mir ist das ganz recht. Wir sind keine Stadtmenschen. Ohne das künstliche Licht gewinnen die Sterne gleich an Glanz und es werden von Minute zu Minute mehr. In etwa einer Stunde wird wohl der Mond aufgehen, auch ein alter Kumpel von uns. Gerade ich bin ihm stets sehr verbunden, mag ich doch die hellen Nächte auf See.
Die erste Wache ist zwar etwas ruppig und, wären wir noch im Hafen, könnten wir alle in Ruhe schlafen, doch wohin würde das führen? Seit Februar 2002 sind wir Seezigeuner. Etwas Risiko gehört zum Seglerleben mit dazu. Abenteuer ist erstrebenswerter als vieles andere im Leben, es ist nicht käuflich aber trotzdem nicht umsonst zu haben. Ein Schiff im Hafen ist zwar sicher, aber dafür werden Schiffe nicht gebaut. So einfach ist das.


Wir arbeiten uns durch die immer wiederkehrenden ersten Eingewöhnungstage. Körper und Geist brauchen etwas Zeit um sich dem Rhythmus der See und des Schiffes anzupassen. Lenny hätte guten Grund uns auszulachen, denn ihm scheint dies alles egal zu sein. Er spielt sich durch die Tage, ob vor Anker, an Land oder auf hoher See. Er spielt alleine und mit uns und ist glücklich und zufrieden.

Er kennt noch keine Sorgen und Ängste und muss keine Verantwortung übernehmen. Das ist das Schöne am Kindsein, und dass dies so ist, ist wiederum das Schöne am Elternsein. Wenn wir nachts auf Wache mal nass werden, frieren oder quälend müde sind, dann macht es uns glücklich, dass er in der Koje trocken und warm und friedlich schlafen kann. Und wenn ich ihn im äussersten Fall doch einmal beneide, denke ich einfach: "auf der nächsten Reise bist Du dann alt genug und musst selber auf Wache! Dann kommen wir zu mehr Schlaf!"

Nach acht Tagen auf See steigt die Insel Fernando de Noronha am Horizont empor und wird mit jeder Meile grösser. Sie gehört zu Brasilien, liegt ziemlich weit draussen im Atlantik und fast die ganze Insel ist Naturschutzgebiet. Wir haben uns Fernando als unseren Abschied von den Tropen ausgesucht, als krönenden Abschluss sozusagen. Eine Woche geniessen wir einzigartige und menschenleere Strände, glasklares Wasser in dem einem farbige Fische zwischen den Beinen herumschwimmen und spektakuläre Tauchgänge.
Mit etwas Wehmut aber auch mit dem Drang weiterzukommen, lichten wir schliesslich den Anker. Etwas Tropensand haftet noch am Eisen, als ich den Anker hochhohle. ich wasche ihn nicht ab.

Rund 1500 Seemeilen im Nordosten von uns liegen die Kapverdischen Inseln. Die gängige Route von Brasilien nach Europa, wenn es so etwas in diesem Gebiet überhaupt gibt, führt via die Kapverden und die Azoren. Dies, weil der Nordostpassat eine Fahrt direkt über die Kanaren unmöglich macht. Unser Plan ist es einfach mal Ost zu machen, denn solange wir nördlich segeln, können wir dies im Südostpassat, danach nicht mehr. Wir setzen uns einen optimistischen Wegpunkt zwischen Dakar und den Kapverden und nennen ihn "Magic". Bereits nach 260 Seemeilen überqueren wir den Äquator. Beim ersten Mal auf unserer Reise schnitten wir die Nulllinie vor Somalia, heute hier, mitten im Atlantik. Nach dreieinhalb Jahren pflügt die MON AMIE wieder auf der nördlichen Hemisphäre. Nun sind wir wirklich auf dem Heimweg!

Am Tag darauf lassen wir die unbewohnten St. Peter&Paul-Felsen Steuerbord liegen. Ich hätte sie gerne gesehen, doch wir sind zu faul, den Kurs zu ändern und die genaue Position der Kleinstinseln ist nicht einmal bekannt.
Aus Christas Tagebuch: Tolle Nacht, konnten etwas fallen und segeln nun Halbwind unter Vollzeug dahin. Sanfte Bewegungen, angenehme 5 Knoten Speed, warm, nur mit Trainerhose und T-Shirt und Rettungsweste auf Wache. Haben nun ein Drittel bis "Magic". Etmal-Durchschnitt auch okay, 126 Seemeilen.
Lenny hat die Bilderbücher entdeckt. Am liebsten mag er die Tiere vom Bauernhof, denn bis jetzt erzählten wir nur von Löwen, Delphinen und Giraffen. Also wiehern und bellen und grunzen wir für ihn! Wenn wir fragen: "Wo ist der Hund?", dann zeigt er im Büchlein darauf. Es ist meine Nachtwache. War eben unten in der Koje und habe Lenny gestillt und mir nun einen Tee gemacht. Bis ich denn geschlürft habe ist eine Viertelstunde durch, und bis ich das hier aufgeschrieben habe gleich noch mal eine. Tja, so beschäftigt man sich hier draussen auf 5°Nord und 25° West. Lenny hat auf den Polsterbezügen im Salon die Schildkröte ins Herz geschlossen, die gefällt ihm irgendwie. Die Fische darauf scheinen ihn hingegen nicht zu interessieren, einfach diese Schildkröte! Er zeigt sie uns sicher ein Dutzend Mal pro Tag. Simi und ich reden viel über unsere Zukunft und das Leben in der Schweiz. Nach beinahe fünf Jahren zurückzukehren bedeutet einen totalen Neuanfang in vielem und es liegt an uns, unser Leben so zu gestalten, wie wir es möchten. Eine Chance, die wir wahrnehmen wollen. Ich hoffe, dass wir im ersten halben Jahr finanziell einigermassen über die Runden kommen werden. Doch jetzt im Moment sind wir noch hier draussen. Auf dieser riesigen Überseglerkarte sieht unser Vorwärtskommen echt mickrig aus, jeden Tag nur eine Daumenbreite.


Wir sind völlig von der Welt abgeschieden, leben nur zu dritt unser Einsiedlerleben. Essen drei Mal am Tag, davor das Kochen, danach das Abwaschen, duschen jeden Tag in der brütenden Hitze, trimmen die MON AMIE, navigieren, führen kleinere Reparatur- und Wartungsarbeiten durch, versuchen hier und da eine Extrastunde Schlaf zu bekommen, gehen auf Nachtwache, lesen, spielen mit Lenny, füttern Lenny, wickeln Lenny, passen auf Lenny auf und erfreuen uns an ihm.
Ab und zu besuchen uns Delphine oder ein Wal und Lenny flippt dabei fast aus! Überhaupt erscheint uns das Meer hier sehr intakt. Zum ersten Mal im Leben begleiten uns Thunfische und Goldmakrelen tagelang. Wir werfen die Angel rein und schon einige Sekunden später ist der Fisch an Bord! Für uns sind das alles, wie überhaupt unsere gesamte afrikanische Abenteuerreise, Erlebnisse, die wir nur aus den alten Segelbüchern der 70er und frühen 80er-Jahre kennen. Wir empfinden unseren Trip, obwohl die Weltreise nicht klappte und trotz allen Schwierigkeiten, als Glücksfall. Von Anfang bis Ende Abenteuer pur, wie wir es uns in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten!

Wir finden mit Hilfe der Bücher aus meinem Meteorologie-Studium heraus, dass zwischen dem Senegal und den Kapverden ein relativ kleines Südwest-Monsun-System herrscht. Zu unserer Jahreszeit, wo die Innertropische Konvergenzzone (ITCZ) weit nördlich des Äquators liegt, erfährt der den Äquator überquerende Südostpassat durch den wechselnden Drehsinn der Corioliskraft eine Ablenkung nach rechts. Für uns bedeutet dies, dass wir, wenn wir zwischen der Sahara und den Kapverden durchsegeln, auf südöstliche, südliche und schliesslich sogar südwestliche Winde stossen müssten, die bis auf 15 Grad Nord oder mehr wirken. So zeigen es auch die Pilot Charts.
Also halten wir weiter auf "Magic" zu und lassen die Kapverdischen Inseln, im wahrsten Sinn des Wortes, "links liegen". Falls wir die Position 15°N/20°W erreichen könnten, rechnen wir uns sogar kleine Chancen aus die Kanarischen Inseln oder Madeira anlaufen zu können. Andere Schiffe vor uns haben dies auch schon geschafft.
Und wenn nicht, bleibt immer noch der Umweg über die Azoren. Dies dann dafür mit besserem Winkel ohne Stopp auf den Kapverden. Soviel zur Taktik.

Das Seehandbuch informiert in diesem Gebiet mit den heftigsten Gewitterstürmen im gesamten Atlantischen Ozean. Das nehmen wir in Kauf und versuchen sehr aufmerksam zu sein.
Wir segeln jetzt durch die Kalmen, haben ständig Regen und tiefen Luftdruck, aber dank des Südwest-Monsuns immerhin Wind! Manchmal drücken die Flauten aber durch, und eine davon nutzen wir, die MON AMIE auf hoher See unter Segeln zu fotografieren. Wir pumpen das Beiboot auf und ich paddle weg. Es braucht ein ganz klein wenig Mut, sich so vom Schiff zu entfernen. doch die Fotos werden eine schöne Erinnerung!

Natürlich treffen uns dann auch zwei dieser Gewitterstürme. Und sie sind auch wirklich sehr heftig. Wir messen mit dem Hand-Anemometer bis sechzig Knoten! Wir reiten beide Fronten problemlos unter Topp und Takel ab und sind froh, dass wir sie jeweils tagsüber kommen sahen.

Aus Christas Tagebuch: Und wieder ein Sonntag, der Durchschnittsschweizer isst Zopf und Croissants, wir nur altes Pumpernickel. War eine hektische Nacht. Musste Simi zwei Mal wecken, zuerst um mehr Segel zu setzen, dann um die Segel ganz zu bergen weil doch kein Wind mehr war. Dann motorten wir etwas, überall Wetterleuchten. Frühmorgens gibt es wieder Wind, Simi setzt die gereffte Fock. Das Grosssegel können wir nicht setzen weil eine Lattentasche gerissen ist und zwei Mastrutscher ausgewechselt werden müssen. Also musste ich aus den Federn, da Simi sonst mit dem Segelgarn was Fürchterliches zusammen gestochen hätte.(!), und das Segel kleben und nähen auf dem bockigen Schiff bei Windstärke 7. Doch jetzt schlafen die Jungs, das Gross steht im dritten Reff und wir stampfen hoch am Wind den Kanaren entgegen. Viel Druck auf allem, immerhin gleichmässiger Druck, weil Am-Wind nichts schlägt.

Zwei Tage nach Überqueren des nördlichen Wendekreises bricht nachts bei nur mässigem Wind das Topp-Endstück unseres Hauptvorstags. Wir fallen sofort ab, setzen zwei Sicherungsfalle und drehen das innere Vorstag fester an. Die ganze Rollanlage hängt nur noch am Genuafall. Wenn es reissen sollte, fällt uns alles ins Wasser. Das wäre wohl kaum mehr zu bergen. Also nehmen wir gleich die ganze Anlage herunter auf das Deck. Wahrscheinlich könnten wir mit der Stagfock und gerefftem Gross segeln. Trotzdem trauen wir uns nicht, das Achterstag ist doch recht lose. Ausserdem haben wir die Wahl: es sind nur noch 200 Seemeilen bis La Gomera. Diesel haben wir noch mehr als genug und so motoren wir den Rest.
Geradezu unglaublich ist es, wenn nach 32 Tagen auf See endlich Land in Sicht kommt! Es ist die Kanareninsel El Hierro, die wir vor Sonnenuntergang gerade noch erspähen können. Am nächsten Morgen kommen wir ins Lee von La Gomera und der Rest ist ein Klacks. Mann, haben wir diese Ankunft unserer längsten Fahrt des Lebens ersehnt! Und nun schleichen wir in die enge Einfahrt der Marina, der Seegang ist gleich Null und mit schwankendem Gang machen wir sofort ein paar Schritte auf dem Steg. Auch Lenny bestaunt die Umgebung, so viele Farben, Geräusche und Formen. Wir sind echt Happy, die Kanaren erreicht zu haben, ist doch Gibraltar von hier bedeutend näher zu erreichen als von den Azoren. Wir haben viel anzustossen: die gute Ankunft, die Nordhalbkugel, Äquator und Wendekreis, europäischen Boden, dass wir die Kanaren direkt geschafft haben, und meine 50'000. geloggte Seemeile.


Wir sind erstaunt wie warm es hier noch ist und gehen gleich vom Schiff zum Strand. Unverhofft, nach Fernando de Noronha, baden wir inklusive Lenny noch einmal was das Zeug hält. Und zwar für die nächsten drei Wochen. Tagtäglich geniessen wir den ruhigen Hafen, erholsame Nächte ohne Wache, europäische Supermärkte und den Badestrand. Derweil bringen wir unser versifftes Überfahrtsschiff wieder auf Vordermann und warten auf das Ersatzteil für den Vorstag.

Selber erholt und mit überholter MON AMIE geht es dann weiter nordwärts. Die Fahrt nach Porto Santo bei Madeira beträgt nur drei Tage. Haben eine gute Fahrt, ruhige See und schnelle Fahrt aufs Ziel. Geht uns allen gut und erfreuen uns einer so kurzen (!) Überfahrt.

Am 19. Oktober 2006 verlassen wir Madeira Richtung Gibraltar. Der Herbst drückt, wir müssen weiter, denn es sind immerhin noch über eineinhalbtausend Seemeilen bis Italien. Der Wetterbericht verspricht südwestliche Winde zwischen vier und sechs Beaufort für unser Seegebiet und die nächsten sechs Tage. Genau so geht es auch los. Wir segeln Schmetterling bei starkem Wind und fliegen dem Kontinent Europa geradezu entgegen! Zum ersten Mal seit Afrika können wir Wetterberichte auf dem Schiff empfangen, mit einem einfachen Sony-Empfänger, der auch SSB-tauglich ist. Jeden Tag bestätigen Radio France Intérnational und Intermar die guten Prognosen. Bis heute. Heute sprechen sie plötzlich von Orkan und 70 Knoten Wind!
Wir sind nun also auf Kurs Lagos gewechselt. Die ganze Nacht bin ich auf den Beinen und habe ziemlich die Hosen voll. Unser Vertrauen in die MON AMIE ist zwar enorm gross, aber Windstärke 12? Für alle Schiffe der Welt ist das nicht ohne.

Es regnet stark und wird kalt, das Barometer steigt leicht. Eine Kaltfront zieht über uns hinweg. Wohl die, welche RFI von einem Sekundärtief gemeldet hat. Es weht ganz schön und wir kriegen bereits ziemlich was aufs Dach! Immerhin segeln wir noch im 3. Reff und mit gereffter Stagfock, dafür aber auch ganz schön schnell. Wir liegen kurz vor Sonnenaufgang bei Windstärke acht bis neun. Lenny erwacht und wir wissen gar nicht recht was mit ihm machen. Es schüttet erbarmungslos, doch er will natürlich wie immer raus ins Cockpit. Nur in Socken ist dies zu kalt und zu nass, so trägt er zum ersten Mal in seinem Leben Schuhe. Und was für welche wohl? Natürlich Gummistiefel, typisch Bordkind!
Es scheint, der Wind nimmt weiter zu. Der Himmel ist grau und schwarz, und wir bangen darum, ob wir es noch vor dem richtigen Sturm an Land schaffen. Und dann passiert es. Der Wind geht langsam zurück, es hellt auf, und das Barometer steigt ganz leicht an. In der Fachsprache: Rückseitenwetter und Zwischenhoch. Innert einer Stunde setzen wir immer mehr Segel bis bald die Sonne scheint und nur noch ein laues Lüftchen weht. Es sind noch 70 Seemeilen bis Lagos.
Da machen wir etwas, was wir sonst nie machen auf dem Meer. Obwohl wir genug Wind zum Segeln hätten starten wir beide Motoren und fahren volle Pulle Richtung Wegpunkt. Wir wollen auf Teufel komm raus vor der nächsten Front im bestens geschützten Hafen von Lagos sein. Und wir segeln eben ihm, dem Teufel, ein Ohr ab, respektive motoren wir ihm nun am Schluss ein Ohr ab. Für uns im Kopf sind wir jedoch bereits seit Salvador, also seit zwölf Wochen, auf Transatlantikfahrt. Alle Stopps bisher waren "nur" Inseln, immer war es von dort noch weit bis zum Festland. 5000 Seemeilen auf unkonventioneller Route; deshalb ist für uns der Teufel mit im Spiel.
Kurz vor Mitternacht fahren wir in den Kanal hinein der weit in die Stadt zur Marina führt. Man liegt dort ziemlich weit vom Meer entfernt, und für uns gibt es gerade jetzt nichts Gigantischeres als uns und unsere MON AMIE vom Meer zu entfernen und zu schützen!

Wir legen uns an die Ankunftspier, stoppen die Motoren und ruhig, wirklich enorm ruhig liegen die Stadt und die Marina da. Genauso ruhig schläft Lenny in seiner Koje und nicht einmal die schweren Steine, die uns vom Herz fallen, wecken ihn auf. Das Deck ist nass, doch der Schwimmsteg ist schön trocken. Darauf setzen wir uns nun mit einer Flasche Champagner, die wir uns genüsslich hinter die Binde kippen. Wir feiern das Festland erreicht zu haben, geniessen die Ruhe um uns und düdeln uns einen an!

Ein paar Stunden später erwache ich unsanft. Der Alarm vom Barometer piepst, und es heult bereits Ehrfurcht erregend im Rigg. Ich schalte den Alarm aus, wir brauchen ihn nun nicht mehr, und lege mich verdammt glücklich wieder zu meinen beiden Lieben!

 
 
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